Das verwundete Land - Covenant 04
seiner Hand erwiderte oder nicht. Sie hatte den Kopf sinken lassen. Das Haar verbarg ihr Gesicht. »Linden, durch deine Fähigkeit des Sehens ist dir das Leben gerettet worden!«
»Nein.« Düsternis und Schatten der frühmorgendlichen Dunkelheit schienen ihre Stimme zu dämpfen. »Du hast mir das Leben gerettet. Ich besitze keinerlei Macht. Ich kann bloß sehen.« Sie entzog ihm ihre Hand. »Laß mich allein«, sagte sie kaum vernehmlich. »Es ist zuviel verlangt ... aber ich will's versuchen.«
Es verlangte Covenant danach, ihr nochmals zu widersprechen; aber er hatte das Gefühl, sich nicht gegen ihr Ersuchen stellen zu können. Mit schmerzhafter Steifheit in sämtlichen Gelenken erhob er sich und latschte zum Feuer, um sich zu wärmen. Während er beiläufig in dem Bachlauf Umschau hielt, bemerkte er die zwei Steinhausener. Ihr Anblick veranlaßte ihn zum Stehenbleiben. Sie saßen ein Stück weit abseits. Sunder hatte den Rukh in der Faust. Schwache rote Flammen umzüngelten das Dreieck. Hollian unterstützte ihn bei seiner Tätigkeit, so wie bei seiner ursprünglichen Meisterung des Rukh . Covenant hatte keine Vorstellung davon, was die beiden betrieben. Zu lange hatte er ihnen keine Aufmerksamkeit mehr entgegengebracht, und er wußte nicht, was sie dachten.
Wenig später erloschen ihre Feuer. Für einen Moment saß das Paar nur da und blickte einander in die Augen, hielt sich die Hände, wie um sich gegenseitig dringend benötigten Mut zu spenden. »Ohne Sinn ist's, es zu beklagen.« Hollians Flüstern durchwisperte den Bachlauf wie eine Stimme aus Sternenlicht. »Wir müssen erdulden, was kommt, so wie wir's vermögen.«
»Ja«, bekräftigte Sunder leise. »So wie wir's eben vermögen.« Seine Stimme war sanfter, als er weitersprach. »Ich kann viel ertragen ... mit dir an meiner Seite.« Als die beiden aufstanden, zog er Hollian an sich und küßte sie auf die Stirn. Covenant schaute fort, weil er sich wie ein Spanner vorkam. Doch die Steinhausener gesellten sich geradewegs zu ihm; als Sunder sich an ihn wandte, tat er es mit grimmiger Entschiedenheit. »Ur-Lord, du mußt davon Kenntnis erhalten. Von jenem Augenblick an, da ich aufgrund deiner Bitte« – er betonte das Wort mit merklicher Ironie – »den Rukh in Besitz nahm, hat Sorge mich beunruhigt. Solange Memla den Rukh hatte, wußte die Sonnengefolgschaft um ihren Aufenthalt. Daher konnte der Zorn über uns kommen. Deshalb befiel mich die Furcht, daß durch meine Meisterung des Rukh die Sonnengefolgschaft auch meinen Verbleib erkennen könne. Covenant ...« Er stockte nur eine Sekunde lang. »Meine Befürchtung hat sich bewahrheitet. Meine Besorgnis, so haben wir festgestellt, war berechtigt. Mir ermangelt's am Vermögen, der Sonnengefolgschaft Trachten zu ergründen, doch ich habe über die Ferne hinweg ihre Berührung gespürt, und ich weiß, ich bin ihrer Beobachtung ausgesetzt.«
»Ur-Lord«, erkundigte Hollian sich gefaßt, »was sollen wir tun?«
»Was wir bis jetzt auch getan haben.« Covenant hatte Hollian kaum gehört; er hörte kaum die eigene Antwort. »Fliehen. Wenn's sein muß, kämpfen.« Er entsann sich Lindens von Krämpfen verzerrtes Gesicht, an ihren verkrampften Mund, die schweißigen Strähnen ihres Haars. Und wilde Magie. »Überleben.« Aus Furcht, er könne die Beherrschung verlieren, kehrte er den beiden den Rücken zu. Wer war er, um zu anderen von Überleben und Handeln zu reden, während er selbst nicht einmal mit dem fürchterlichen Anwachsen seiner Macht zurechtkam? Das Gift! Es war nun ein Teil von ihm. In dem Maße, wie seine Verfügungsgewalt über die wilde Magie zunahm, schränkte sich – diesen Eindruck hatte er – seine gesamte andere Handlungsfähigkeit ein. Er war enorm zu allem Destruktiven fähig. Und zu allem anderen außerstande. Er füllte einen Becher mit Metheglin und trank einen langen Zug, wie um zu verhindern, daß er laut herumstöhnte. Macht verdirbt, dachte er. Weil man ihrer stets unsicher bleibt. Macht ist zuwenig. Oder zuviel. Sie lehrt das Zweifeln. Zweifel verleiten zu Gewalt. Der Drang nach Macht verstärkte sich in seinem Innern. Teile seines Ichs lechzten nach dem Wüten wilder weißer Glut. Für einige Zeit fürchtete er sich so sehr vor sich selbst, vor den Folgen seiner leidenschaftlichen Heftigkeit, daß er nichts zu essen vermochte. Er trank von dem dickflüssigen, metähnlichen Getränk und stierte in die Flammen, versuchte zu glauben, daß er dazu in der Lage sein werde, sich zu
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