Das verwundete Land - Covenant 04
beherrschen. Er hatte einundzwanzig Menschen getötet. Mit dem Nahen der Morgendämmerung kehrte die Erinnerung daran mit aller Lebhaftigkeit zurück. Einundzwanzig! Männer und Frauen, deren einziges Verbrechen gewesen war, daß ein Wütrich ihr Leben fehlgeleitet hatte. Als er aufblickte, sah er neben sich Linden stehen.
Sie war noch unsicher auf den Beinen, noch immer ziemlich schwach, aber sie vermochte sich wieder aufrecht zu halten. Ernst betrachtete sie ihn. »Du solltest etwas essen«, sagte sie mit einem Echo ihrer alten Strenge in der Stimme, als er den Blick senkte. Er konnte sich ihr nicht widersetzen, bemächtigte sich eines Stücks Dörrfleisch. Sie nickte, dann entfernte sie sich mit lahmen Bewegungen, um Cail zu untersuchen. Covenant kaute in versonnener Geistesabwesenheit, während er zuschaute. Cail wirkte gleichermaßen gesund wie krank. Allem Anschein nach hatte er sich von der Sonnenübel-Erkrankung erholt, seine angeborene, charakteristische Widerstandskraft und Unerschütterlichkeit zurückgewonnen. Aber seine Wunde war unvermindert stark entzündet; gegen das Gift vom Sporn des Landläufers hatte der Voure offenbar keine Wirkung.
Linden begutachtete die Verletzung mit einer Miene, als trample jemand auf ihren Nerven herum, dann verlangte sie Feuer und heißes Wasser. Kommentarlos erfüllten Hergrom und Ceer ihre Wünsche. Während das Wasser kochte, lieh Linden sich Hollians Messer, desinfizierte es in den Flammen und verwendete es, um Cails Entzündung zu öffnen. Er ertrug den Schmerz in stoischer Ruhe; nur eine leichte Verspannung zwischen seinen Brauen deutete an, was er empfand. Blut und gelbliche Flüssigkeit troffen in den Sand und bildeten einen Feuchtigkeitsfleck. Trotz ihrer Schwächlichkeit waren Lindens Hände sicher. Sie wußte genau, wo und wie tief sie zu schneiden hatte. Als das Wasser fertig war, ließ sich Linden von Brinn eine Decke geben. Sie riß sie in Streifen und benutzte einige davon, um die Wunde zu waschen; mit anderen legte sie Cail einen behelfsmäßigen Verband an. Kleine Schweißtröpfchen an Cails Stirn spiegelten den Feuerschein wider; dennoch hielt er still. Er schien nicht mehr zu atmen. »Wenn wir die Infektion behoben haben, wirst du wieder in Ordnung sein.« Lindens Stimme besaß einen unpersönlichen Klang, als läse sie aus einem Lehrbuch der Medizin vor. »Du bist kräftig für fünf.« Plötzlich geriet ihre Kaltblütigkeit ins Wanken. »Es wird weh tun. Hätte ich eine Möglichkeit, den Schmerz zu vermeiden, ich würde sie wahrnehmen. Aber ich habe keine. Es ist alles in meiner Arzttasche geblieben.«
»Sei unbesorgt, Linden Avery«, antwortete Cail gleichmütig. »Ich bin wohlauf. Ich werde dir zu Diensten stehen.«
»Kümmere dich lieber um dich selbst«, raunzte sie ihn sofort an. »Gib auf den Arm acht.« Sie überzeugte sich, während sie sprach, vom festen Sitz des Verbandes. Dann goß sie kochendheißes Wasser über den Stoff. Cail ließ keinen Laut vernehmen. Wacklig richtete sich Linden auf, drehte ihm den Rücken zu und setzte sich wieder rücklings an die Böschung, als könne sie den Anblick seiner Tapferkeit nicht verkraften.
Einen Moment später erregte Hohl die Aufmerksamkeit Covenants. Die ersten Sonnenstrahlen rührten an Hohls Kopf, hoben seine Umrisse aus der Dunkelheit, machten ihn zu einem Inbegriff der Schwärze und Geheimnisse. Eilends suchten Sunder und Hollian sich steinigen Untergrund. Covenant half Linden beim Aufstehen. Die Haruchai verharrten, wo sie sich befanden. Alle erwarteten den Anbruch des Tageslichts. Die Sonne schob sich über den Rand der Böschung, trug Braun wie ein schmuddliges Totenhemd der ganzen Welt. Sie verhieß Durst und Halluzinationen, gebleichte Knochen, Fieber und Hitzeblasen. »Es ist schwächer!« Linden keuchte unwillkürlich auf. Doch da stöhnte sie, ehe Covenant verstand, was sie meinte, vor Enttäuschung. »Nein. Ich werde wohl allmählich verrückt. Es hat sich nicht verändert.«
Verändert? Ihre Bitternis erzeugte in Covenant einen Strudel von Befürchtungen, während man das Lager abbrach, die Landläufer bestieg und nach Osten ritt. Stand sie so sehr unterm Eindruck ihrer Furcht, daß sie ihrer Sicht nicht länger trauen konnte? Durch die erlittenen Anfälle war ihr Haar dunkel von Schweißnässe, wie von Strähnen feuchter Pein durchzogen. Aber sie war anscheinend wirklich auf dem Wege zur Besserung. Ihre Kopfwunde war relativ harmlos gewesen. Die Gefährten ritten in die von der
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