Das verwundete Land - Covenant 04
belastet. Sunders Augen ruckten unablässig hin und her. Hollians Gesicht trug einen Ausdruck unbewußter Furcht, wie bei einem Kind, das befürchtete, erschreckt werden zu können. Linden saß vornübergebeugt an Brinns Schultern geklammert. Wenn sie sprach, klang ihre Stimme schwächlich und gepreßt, beeinträchtigt durch ihre Empfänglichkeit für all das Scheußliche ringsumher. Nur Hohl wirkte so gleichgültig wie ein ohnehin Verfluchter, unbeeindruckt selbst durch die Aussicht etwaiger Greulichkeiten. Covenant hatte das Gefühl, als füllten sich seine Lungen mit Nässe.
Allem Anschein nach hatten die Landläufer ähnliche Schwierigkeiten. Er hörte sie heiser schnaufen. Allmählich zeigten sie wachsende Nervosität, man merkte ihrer Gangart mit der Zeit Unsicherheit an; sie stapften mal wildentschlossen, mal wacklig dahin. Was kann sie nur ...? dachte Covenant. Doch die Fragestellung flößte ihm zuviel Mißbehagen ein, und er beendete sie nicht einmal in Gedanken.
Zur Mittagszeit veranlaßte Brinn auf einem von Pimpernellen bewachsenen Geländehöcker, an zwei Seiten umgeben von einem See aus zähflüssigem Matsch, der wie Teer roch, eine Rast. Blasse, geißeltierchenartige Kreaturen schwammen darin; sie durchbrachen die Oberfläche, verursachten träge Ringe, tauchten wieder unter. In der Trübheit der dunklen Brühe wirkten sie wie bleiche, von Verwesung befallene Leichen. Dann deutete Linden durchs Geäst hinauf zur Sonne. Als Covenant in die schwache Aura zwinkerte, sah er, wie sie sich veränderte, so wie Linden es vorhergesagt hatte. Die volle Stärke des Sonnenübels kehrte zurück, bescherte der Sarangrave-Senke neue Pestilenz. Bei diesem Anblick packte unbeschreibliches Grauen Covenant. Die Sarangrave unter einer Sonne der Seuchen ...!
Hollians Keuchen lenkte die Aufmerksamkeit ihrer Begleiter auf sie. Die Knöchel ihrer Finger zwischen die Zähne gestoßen, starrte sie hinaus auf den See. An jeder Stelle, wo Sonnenschein die dunkle Oberfläche berührte, stiegen fahle Geschöpfe auf. Sie hoben blinde Häupter ans Licht, schienen sich nach den Sonnenstrahlen zu recken. Leichter Wind wehte durch die Bäume, und Flecken aus Sonnenlicht gaukelten auf dem Flüssigkeitsspiegel hin und zurück. Die Wesen wanden sich wild durch das Naß, um dem Licht zu folgen. Jedes der Geschöpfe begann sich auszudehnen, wenn es den Kopf einige Sekunden lang in die Helligkeit gehalten hatte, schwoll an wie eine Frucht beim Reifen, platzte schließlich und verspritzte grüne Tropfen in den See. Jene Tropfen, die in den Schatten fielen, färbten sich rasch schwarz und verschwanden. Die Tropfen jedoch, die ins Licht gerieten, schimmerten heller und ... Covenant schloß die Augen; dennoch vermochte er den Anblick, der sich bot, nicht loszuwerden. Hinter seinen Lidern tanzten vor rotem Hintergrund grüne Flecken. Er schaute wieder hin. Die Tropfen sahen lumineszent und unheilvoll aus wie flüssiger Smaragd. Sie wuchsen, während sie umhertrieben, mästeten sich an Schmutz und Verseuchung.
»Guter Gott!« Entsetzen dämpfte Lindens Stimme. »Wir müssen fort!« Ihr Tonfall besaß restlose Überzeugungskraft. Die Haruchai handelten sofort. Sunder rief die Landläufer. Cail hob und schob zuerst Linden, dann Covenant auf Clashs Rücken, so daß das Tier nicht erst hinknien mußte. Stell und Harn taten das gleiche mit den zwei Steinhausenern. Brinn führte die Landläufer, so schnell wie es gewagt werden konnte, um den See ostwärts und tiefer in die weitläufige Landschaft der Sarangrave-Senke.
Glücklicherweise übte das Sonnenübel anscheinend eine beruhigende Wirkung auf die Landläufer aus, weil es den Einfluß von Sunders Rukh festigte. Ihre grobklotzige Bockigkeit ließ nach. Sie ließen sich unter Kontrolle halten, wenn deformiertes Getier unter ihren Hufen beiseite flitzte oder Vögel mit Gekreische an ihren Köpfen vorüberflatterten. Nachdem sie eine halbe Länge zurückgelegt hatten, waren die Reiter dazu imstande, ein Mahl zu verzehren, ohne abzusteigen. Beim Essen überlegte Covenant, wie er sich bei Linden am besten nach Näherem erkundigen könne. Aber sie kam ihm zuvor. »Frag nicht!« Gespenstische Eindrücke wallten im Hintergrund ihrer Augen. »Es war furchtbar. Ich habe auf Anhieb erkannt, daß Gefahr droht. Ich will gar nicht wissen, was das gewesen ist.«
Er nickte. Die Gefährdung des Trupps zwang sie dazu, den Blick auf Dinge zu richten, die ihre Seele zermarterten. Sie war all dem Abscheulichen
Weitere Kostenlose Bücher