Das verwundete Land - Covenant 04
zerstob ihren Ruf; er konnte ihn kaum hören. »Ist alles klar mit Ihnen?«
Er schob seinen Mund an ihr Ohr. »Bleiben Sie mit dem Rücken zur Wand! Wir müssen uns irgendeinen Unterschlupf suchen!«
Sie nickte mit Nachdruck. Covenant packte ihre rechte Hand mit seiner Linken, kehrte der Tiefe den Rücken zu und begann auf dem Felssims nach Westen zu schlurfen. Über ihren Köpfen flackerten Blitze und verschafften ihnen diesen und jenen flüchtigen Ausblick auf die Umgebung. Das Sims war ungefähr einen halben bis einen Meter breit und verlief mehr oder weniger eben an dem steilen Berghang entlang. Darüber verschwand der Berg in der Grenzenlosigkeit der Wolken. Das Donnern brüllte auf Covenant ein wie die Stimme seiner Höhenangst, gebot ihm, das Gleichgewicht zu verlieren. Wind und Regen, chaotisch schrill, peitschten ihm den Rücken. Doch Lindens Hand war für ihn wie ein Anker. Covenant schmiegte sich an die Felswand, als gelte ihr all sein Verlangen, und tappte langsam vorwärts. Bei jedem Blitzschlag spähte er durch den Regen voraus und versuchte die Stelle zu erkennen, wo das Sims endete. Dort: ein senkrechter Einschnitt, der einer Narbe im Fels ähnelte. Sobald er ihn erreichte, zog er Linden um die Ecke, dann einen schlammigen, mit Geröll durchsetzten Hang hinauf, über den Wasser herabsprudelte wie in einem Flußbett. Unverzüglich sank der Wind zu einem gepreßten Pfeifen ab. Das nächste bläuliche Aufflammen des Himmels offenbarte, daß sie in einen schmalen Hohlweg gelangt waren, der in völlig durchtränktem Zustand schräg durch den Berghang nach oben führte. Wie in Stromschnellen brandete Wasser gischtig an den Felsbrocken vorüber, die den Untergrund des Hohlwegs behäuften. Covenant kämpfte sich vorwärts, bis er und Linden an einen Findling kamen, der groß genug war, um einen gewissen Schutz zu bieten. Dort machte er halt und ließ sich im Schäumen des Wassers nieder, lehnte den Rücken an die felsige Wand des Hohlwegs. Linden tat das gleiche. Wasser floß ihnen über die Beine; der Regen blendete ihre Augen. Covenant war es egal; er brauchte die Pause.
Schon nach wenigen Augenblicken regte sich Linden wieder, näherte ihr Gesicht seinem Ohr. »Und jetzt?«
Und jetzt? Covenant wußte es nicht. Erschöpfung lähmte seinen Verstand. Aber Linden hatte recht, wo sie sich jetzt befanden, konnten sie nicht bleiben. »Hier ist irgendwo ein Pfad!« Er brachte die lasch gerufene Antwort nur mühsam heraus.
»Sie kennen den Weg nicht? Sie haben doch gesagt, Sie sind hier schon einmal gewesen!«
»Vor zehn Jahren!« Und beim zweitenmal war er bewußtlos gewesen; Salzherz Schaumfolger hatte ihn getragen.
Für eine Sekunde erhellte ein Blitz Lindens Gesicht; es war vom Regen verdreckt. »Was sollen wir jetzt machen?«
Der Gedanke an Schaumfolger, den Riesen, der sein Freund gewesen war, gab Covenant, was er in diesem Moment brauchte. »Es versuchen!« Indem er sich auf Lindens Schulter stützte, raffte sich Covenant hoch. Linden verkraftete sein Gewicht anscheinend ohne Mühe. »Vielleicht fällt mir der Weg wieder ein!«
Linden richtete sich an seiner Seite auf, beugte sich zu ihm herüber. »Dieser Sturm will mir nicht gefallen!« schrie sie. »Er ist irgendwie nicht geheuer!«
Ist nicht ...? Durch den Regen zwinkerte Covenant sie an. Im ersten Augenblick verstand er sie nicht. Für ihn war das lediglich ein Gewitter, eine Naturgewalt wie jede andere. Doch dann begriff er, was sie meinte. Sie hatte das Gefühl, der Sturm sei unnatürlich. Er verstieß in ihr gegen irgendwelche instinktmäßige Empfindungen. Linden eilte ihm bereits voraus; ihre Sinne stellten sich anscheinend zusehends auf das Land ein, wogegen seine in ihrer Wahrnehmung oberflächlich und stumpf blieben, blind für den Geist dessen, was sie ringsum bemerkten. Vor zehn Jahren war er zu dem imstande gewesen, was ihr möglich war: zum Unterscheiden der Richtigkeit oder Falschheit physischer Dinge und Abläufe, ihrer Gesundheit oder Verderbtheit, von Wind, Regen, Stein, Holz und Fleisch. Diesmal jedoch spürte er nichts außer der Vehemenz des Sturms, als besäße eine solche Gewalt keine Bedeutung, keine Hintergründe. Keine Seele. Covenant murmelte matte Flüche vor sich hin. Verlief die Anpassung seiner Sinne nur langsamer? Oder hatte er die Fähigkeit verloren, mit dem Land im Einklang zu existieren? Hatten Leprose und Zeit ihn dieser Sensitivität vollkommen beraubt? Hölle und Verdammnis! schalt er ebenso abgeschlafft
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