Das verwundete Land - Covenant 04
schwieg.
»Ich mußte.« Was könnte er sonst sagen? »Ich bin so und nicht anders.«
»Nein.« Sie widersprach, als sei zwischen ihnen ein Vorwurf von Schlechtigkeit zur Diskussion gekommen. »So sind Sie nicht. Sie haben's nicht vorsätzlich getan, nicht wahr? Und Sie haben das Land gerettet, oder?«
Covenant schaute sie aus offener Miene an. »Ja. Zum Schluß.«
»Dann ist es damit vorbei. Ausgestanden.« Lindens Kopf sank auf ihre Knie. Sie drückte den Kopf auf die Kniescheiben, als beabsichtige sie, das Gepoche ihrer Gedanken zu mäßigen. »Lassen Sie mich in Ruhe.«
Covenant betrachtete die Oberseite ihres Kopfes, die Weise, wie ihr das Haar über die Schenkel fiel, und bemühte sich, sie zu begreifen. Er hatte erwartet, sie werde ihm wegen der Dinge, die er getan hatte, Vorwürfe machen, und nicht dafür, sie eingestanden zu haben. Weshalb war sie in dieser Hinsicht so empfindlich? Er wußte zu wenig über sie. Aber wie sollte er sie nach etwas fragen, von dem sie offenbar glaubte, andere Menschen dürften davon nichts wissen? »Ich verstehe Sie nicht.« Aus Verunsicherung klang seine Stimme barsch. »Wenn Sie so darüber denken ... Warum sind Sie dann wiederholt zu mir gekommen? Sie haben sich einer Menge Unannehmlichkeiten unterzogen, um herauszufinden, was ich zu verheimlichen hatte.«
Linden hielt ihr Gesicht verborgen. »Ich habe gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen.«
»Das geht nicht.« Eine Regung von Ärger machte sich in Covenant bemerkbar. »Sie wären nicht hier, hätten Sie sich nicht dazu hinreißen lassen, mir zu folgen. Ich muß wissen, warum Sie das getan haben. Damit ich entscheiden kann, ob ich Ihnen vertrauen darf.«
Lindens Kopf fuhr hoch. »Ich bin Ärztin.«
»Das genügt nicht«, entgegnete Covenant mit Härte.
Das Morgenlicht, das durchs Fenster hereinfiel, nahm allmählich an Helligkeit zu. Covenant konnte nun gewisse Einzelheiten in Lindens Miene erkennen; ihr Mund war zusammengepreßt und drückte Strenge aus, ihre Augen glichen unter der Stirn düsteren Vertiefungen. Sie musterte ihn, als bedränge er ihre ureigenste persönliche Sphäre. »Ich bin Ihnen gefolgt«, sagte sie nach längerem Schweigen mit leiser Stimme, »weil ich dachte, Sie wären stark. Jedesmal wenn ich Sie gesehen habe, machten Sie auf mich den Eindruck jemandes, der an sich der Länge nach am Boden liegen müßte, aber unfaßbarerweise noch immer auf den Beinen steht. Sie hatten verzweifelt Hilfe nötig. Aber Sie standen da, als könne nicht einmal totale Erschöpfung Sie umwerfen.« In ihrer Stimme schwang Verbitterung mit. »Ich dachte, Sie seien stark. Und nun stellt sich heraus, daß Sie nur vor Ihren Schuldgefühlen davonlaufen, genau wie jeder andere. Sie versuchen, sich in den Zustand der Unschuld zurückzuversetzen, indem Sie sich für Joan opfern. Was hätte ich denn tun sollen?« Zorn floß ihrem Tonfall ein. »Sie Selbstmord begehen lassen?« Sie redete weiter, bevor er antworten konnte. »Sie machen sich die Schuldgefühle auf gleiche Weise zunutze wie die Lepra. Sie wollen, daß die Menschen Sie abweisen, von Ihnen Abstand halten – aus Ihnen ein Opfer machen.« Langsam wich ihre Eindringlichkeit einem mürrischen Geraune. »Von dergleichen habe ich schon mehr erlebt, als ich ertragen kann. Wenn Sie glauben, daß ich eine ernste Gefahr für Sie bin, lassen Sie mich doch wenigstens in Ruhe.« Sie verbarg wieder ihr Gesicht auf den Knien.
Stumm starrte Covenant sie an. Ihre Einschätzung seiner Person kränkte ihn, als habe man ihm Lügenhaftigkeit nachgesagt. War es das , was er tat – lieferte er ihr einen moralischen Grund für gegen ihn gerichteten Abscheu, weil sie sich vom körperlichen Sachverhalt seiner Leprose nicht abschrecken ließ? Fürchtete er sich so sehr vor Hilfe und Vertrauen anderer Menschen? Vor fremder Sorge um ihn? Während er noch inwendig dies ganz neue Bild von sich selbst anglotzte, stand er mühsam auf, schleppte sich zum Fenster, als habe er das Bedürfnis, seine Augen zu behüten, indem er ihren Blick etwas anderem zuwandte. Doch was er sah, unterstrich lediglich seine Erinnerungen. Es bestätigte, daß er und Linden sich im Steinhausen Mithil befanden. Gleich gegenüber erblickte er die Außenwand und das Dach eines anderen steinernen Gebäudes; zu dessen beiden Seiten sah er die Ecken weiterer Steinhäuser. Ihre Mauern waren uralt, durch den Lauf der Jahrhunderte verwittert und in Mitleidenschaft gezogen. Sie waren ohne Mörtel errichtet worden,
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