Das verwundete Land - Covenant 04
Sofort fiel sein Blick auf den Mann, der hinter dem Kreis der Steinhausener stand. Ihre Blicke trafen sich wie das Aufeinanderprallen zweier Waffen. Der Mann hatte zu grinsen aufgehört; er stierte Covenant denunziatorisch und voller Verachtung an. In den Armbeugen hielt er Gewalt bereit. Doch Covenant schrak nicht vor ihm zurück. Er reckte den Rücken, straffte die Schultern und erwiderte die unverhohlene Drohung im Blick des Mannes. Nach einem Moment äußerster Anspannung schaute der Mann zur Seite. »Nicht wir sind es, die hier vor Gericht stehen«, sagte Covenant leise. »Vielmehr seid ihr's. In euren Händen habt ihr den Untergang des Landes, aber ihr seid dafür blind.«
Ein weiterer Moment völliger Stille schloß sich an; das Dorf, das gesamte Tal schien den Atem anzuhalten. »Müssen wir noch mehr vernehmen?« rief da plötzlich der einzelne Mann im Hintergrund. In seinem Ton vereinten sich Verachtung und Furcht. »Er hat genug Verderbtheit ausgesprochen, um das Schicksal von zweimal zehn Fremdlingen zu besiegeln. Laßt uns nun das Urteil fällen!«
Unverzüglich sprang der Mann mit dem langen Stab auf. »Schweig, Marid!« ordnete er streng an. »Ich bin der Steinmeister von Steinhausen Mithil. Es obliegt mir, die Probe des Schweigens zu beginnen – und ebenso, sie zu beenden.«
»Es ist genug!« erwiderte Marid. »Kann es noch größere Schlechtigkeiten als jene geben, die er bereits ausgesprochen hat?«
Eine übellaunige Regung der Zustimmung ging durch die Runde. Linden schob sich näher zu Covenant. Ihr Blick haftete auf Marid, als erfülle er sie mit einem Grausen, dem sie sich nicht zu entziehen vermochte. Widerwille zuckte in ihren Mundwinkeln. Covenant sah sie an, dann Marid, und versuchte zu ergründen, was sich zwischen den beiden abspielte.
»Nun wohl.« Der Steinmeister trat einen Schritt vor. »Es sei genug.« Er setzte seinen Stab auf den Untergrund aus Stein. »Sprecht zu dem, Steinhausener, was ihr vernommen habt.«
Für einen Moment blieb es ruhig. Dann erhob sich bedächtig ein alter Mann. Er rückte sich das Wams zurecht, um feierliches Gehabe bemüht. »Ich habe die Predigt na-Mhorams vernommen, wie sie uns von den Gefolgsleuten der Sonnengefolgschaft wiedergegeben wird. Sie haben gesagt, daß die Ankunft des Mannes mit der Halbhand und dem weißen Ring uns allen Unglück ohne Ende ankündigt. Sie haben gesagt, es sei besser, diesen Mann im Schlafe zu erschlagen, sein Blut ohne Nutzen zur Erde fließen zu lassen, als ihm nur einen ungehinderten Atemzug zu gestatten, mit dem er Übles aussprechen könnte. Nur der Ring muß bewahrt und den Gefolgsleuten ausgehändigt werden, auf daß man alle Lästerungen vom Lande abzuwenden vermag.«
Lästerungen? Sonnengefolgschaft? Aussichtslos rang Covenant mit dem Tatbestand seiner mangelhaften Kenntnisse. Wer außer Nassics Freischüler-Urahn konnte die Rückkehr des Zweiflers noch vorausgesagt haben?
Der Alte beschloß seinen Redebeitrag, indem er dem Steinmeister zunickte. Ihm gegenüber stand nun eine Frau mittleren Alters auf. »Er hat den Namen des na-Mhoram genannt und ihn einen Freund geheißen«, rief sie und deutete mit dem Finger auf Covenant. »Sind nicht der na-Mhoram und all seine Sonnengefolgschaft eine Bitternis für Steinhausen Mithil? Berauben nicht seine Gefolgsmänner uns unseres Blutes – und nicht etwa des Blutes der Alten, die dem Tode nahe sind, sondern der Jungen, deren Leben kostbar ist? Mögen diese beiden sterben! Unsere Herde leidet schon lange ohne Futter.«
»Torheit!« entgegnete ihr der Alte. »Wenn das nächste Mal der Gefolgsmann kommt, wirst du nicht so sprechen. Das wird bald sein – unsere Zeit rückt von neuem näher. Im ganzen Lande besitzt nur die Sonnengefolgschaft Macht über das Sonnenübel. Die Bürde ihrer Opferungen ist für uns schwer – doch sollte sie davon Abstand nehmen, das Blut der Dörfer zu vergießen, müßten wir dem Leben gänzlich entsagen.«
»Aber offenbart sich hier nicht ein Widerspruch?« mischte sich der Steinmeister ein. »Er nennt den na-Mhoram einen Freund – und doch spricht die Predigt der Sonnengefolgschaft in höchstem Zorn wider ihn.«
»Um so mehr müssen beide sterben!« schnauzte sofort Marid dazwischen. »Der na-Mhoram ist nicht unser Freund, aber außer Frage steht seine Macht!«
»Richtig!« bestätigten ringsum Stimmen. »Ja.«
»Fürwahr.«
Linden streifte Covenant mit der Schulter. »Der Mann dort hinten«, flüsterte sie. »Marid. Irgend etwas an
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