Das verwunschene Haus
ziehen.«
Der Polizeipräfekt fühlt sich auf einmal unbehaglich.
»Herr Baron, ich verstehe nicht ganz...«
»Ihr werdet noch früh genug verstehen. Ihr erinnert Euch sicher, daß die Familie von Scheffel, genau gesagt, meine Schwägerin Inge von Scheffel, kürzlich in eine kriminelle Affäre verwickelt war, nicht wahr?«
Johann Berger begreift immer weniger, worauf der Baron hinauswill. Natürlich erinnert er sich daran; schließlich hat er selbst die Ermittlungen durchgeführt! Es war übrigens ein ganz besonders schreckliches Verbrechen. Man hatte die kleine Tochter der Gräfin Inge von Scheffel im Schloßgraben erwürgt aufgefunden. Aufgrund der Zeugenaussage der Gräfin konnte man den Schuldigen rasch überführen. Es handelte sich um einen Bediensteten, einen gewissen Hans Steiner. Dieser wurde daraufhin zum Tode verurteilt und hingerichtet. »Wie könnte ich das vergessen, Herr Baron!«
Der Baron von Buch wirft dem Beamten einen verächtlichen Blick zu.
»Ihr werdet diese Angelegenheit bestimmt nicht in guter Erinnerung behalten, wenn Ihr erst die Fortsetzung hört. Ihr wart noch nie ein Mann von großem Urteilsvermögen, Berger! Zu Eurer Entschuldigung muß man zwar sagen, daß immerhin die Aussage von Inge von Scheffel vorlag, aber wenn Ihr gründlicher ermittelt hättet, so wäre Euch bald klar geworden. daß Ihr es mit einer Verrückten zu tun hattet.«
Berger verliert immer mehr den Boden unter den Füßen. Sein Gegenüber fährt fort: »Inge von Scheffel selbst hat ihr Kind in einem Zustand geistiger Umnachtung getötet. Dann hat sie ihren Diener beschuldigt, und Ihr habt diese Geschichte geglaubt. Erst Ende November letzten Jahres gestand sie ihrem Vater schließlich die Wahrheit, weil sie von Gewissensbissen geplagt wurde.«
»Aber das ist ja furchtbar!«
»Furchtbar, in der Tat. Ihr Vater, der Baron von Scheffel, faßte daraufhin einen Beschluß: Inge sollte bestraft werden, doch es galt, einen Skandal zu vermeiden. Er hat daher eine Art Tribunal zusammengerufen, an dem sowohl er selbst teilgenommen hat, als auch der Gemahl von Inge, ihre beiden Brüder, die beiden Brüder von Hans Steiner sowie meine Person. Wir waren insgesamt sieben an der Zahl.«
Den Polizeipräfekten schaudert es. Vor seinem geistigen Auge erscheint ein Bild, ein Bild aus der Erzählung von Thomas Dietrich. Er sieht den langen Tisch im Kellergewölbe des Schlosses vor sich, an dem sich sieben maskierte Gestalten versammelt hatten, die wie Richter gekleidet waren... »Und was geschah dann?« stammelt er.
Mit plötzlich veränderter Stimme erklärt der Baron: »Inge war in ihrem Zimmer eingeschlossen worden, während wir uns berieten. Alsbald waren wir uns alle über die Strafe einig: Sie verdiente den Tod. Das einzige, worüber wir lange diskutierten, war die Art der Hinrichtung. Am Ende setzte sich der Standpunkt der beiden Brüder Steiner durch.«
Johann Berger ist bleich geworden.
»Und was bedeutet das?«
»Inge sollte auf dieselbe Weise sterben wie Hans Steiner, nämlich durch das Beil des Henkers, der diesen enthauptet hatte. Wir teilten Inge daraufhin mit, zu welchem Schuldspruch wir gelangt waren. Sie nahm das Urteil an. Als nächstes planten wir die Entführung von Thomas Dietrich.«
Der Polizeipräfekt verliert sichtlich die Fassung. Er bringt kein Wort mehr hervor.
In verächtlichem Ton fährt der Baron fort: »Ich brauche Euch nicht zu erzählen, wie die Geschichte ausgegangen ist. Dietrich wird Euch die Details sicher berichtet haben. Jedenfalls waren wir es, die ihm die dreihundert Louisdor ausgehändigt haben.«
Mit kaum hörbarer Stimme fragt Johann Berger: »Aber warum seid Ihr gekommen und erzählt mir all das?«
»Weil sonst ein Unschuldiger hingerichtet worden wäre, deshalb! Die anderen waren nicht derselben Auffassung wie ich. Für sie ging die Familienehre vor, doch das entspricht nicht meiner Sicht der Dinge. Ihr wißt jetzt, was Euch zu tun übrig bleibt, Berger. Ihr müßt uns alle sieben verhaften, denn wir haben ein Verbrechen begangen!«
Und genau dazu mußte sich der Polizeipräfekt Johann Berger am Ende entschließen. Unmittelbar danach quittierte er den Dienst. Er hatte sich lächerlich gemacht und war entehrt.
Als den selbsternannten Richtern nun als Angeklagten der Prozeß gemacht wurde, war dies in der Stadt Tübingen ein ungemein aufsehenerregendes Ereignis. Zu ungewöhnlich war dieser Fall ja auch!
Thomas Dietrich, der sich zunächst noch neben ihnen auf der Anklagebank
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