Das verwunschene Haus
hatte. Es war nicht meine Schuld. Ich habe den Sack nicht umgestoßen!«
»Und deshalb hast du sie beide umgebracht?«
»Ja... ja. Ich hätte es nicht tun dürfen...«
»Und womit hast du sie getötet?«
»Mit dem Revolver von Herrn Kircher. Ich hatte gesehen, wie er ihn in seine Nachttischschublade legte. Da bin ich ins Schlafzimmer gegangen, hab den Revolver rausgenommen und abgedrückt.«
»Und was hast du danach gemacht?«
»Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich nicht.«
Kommissar Baumann beendet das Verhör an dieser Stelle. Abgesehen vom geheimnisvollen Verschwinden des Revolvers ist der Fall für ihn vollkommen klar.
Die Geschworenen, die am 8. Mai 1959 in Nürnberg über Nicklaus Hafner zu richten haben, sehen das ebenso. Der einzig strittige Punkt besteht bei der Frage, inwieweit der junge Bursche für seine Tat verantwortlich gemacht werden kann. Die hinzugezogenen Psychiater plädieren dann auch auf verminderte Zurechnungsfähigkeit, und so fällt der Schuldspruch etwas milder aus: Nicklaus Hafner wird zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Doch genau in dem Moment legt Hafner ein völlig verändertes Gebahren an den Tag. Er beginnt plötzlich lauthals, seine Unschuld zu beteuern und schreit: »Ich habe nur gestanden, weil ich mich interessant machen wollte, weil ich wollte, daß man von mir spricht und daß die Zeitungen über mich schreiben! Aber es ist alles nicht wahr! Nie im Leben hätte ich Herrn und Frau Kircher umgebracht, das schwöre ich!« Selbstverständlich achtet kein Mensch auf diese nachträglichen Beteuerungen des jungen Mannes, der erwiesenermaßen nur bedingt zurechnungsfähig ist und dem ein faires Verfahren zuteil wurde.
Kommissar Baumann erhält danach zwar noch mehrere flehentliche Briefe von Nicklaus Hafner, die dieser aus dem Gefängnis an ihn schreibt. Doch obwohl er ein sehr gewissenhafter Beamter ist, ändert sich dadurch nichts an seiner Überzeugung. Warum auch sollte er die Schuld des jungen Mannes anzweifeln?
Anderthalb Jahre sind seitdem vergangen, als Kommissar Baumann am 16. November 1960 einen unerwarteten Anruf erhält.
»Kommissar Baumann? Hier ist Kommissar Schranz. Ich habe Neuigkeiten für Sie. Es geht um den Fall Kircher...« Kommissar Baumann kennt seinen Kollegen Schranz nur namentlich, da dieser für einen anderen Stadtteil von Nürnberg zuständig ist. Schranz gilt als sehr erfahrener Beamter. Er steht kurz vor der Pensionierung und genießt wegen seiner besonderen Korrektheit hohes Ansehen. Dennoch versteht Baumann nicht, worauf Schranz jetzt hinauswill.
»Wie kommen Sie plötzlich wieder auf den Fall Kircher? Der ist doch längst zu den Akten gelegt!«
Schranz war auf diese Reaktion gefaßt gewesen. Geduldig fährt er fort: »Ich habe vor zehn Tagen einen gewissen Leopold Schwab verhaftet. Es ging um einen ziemlich heftigen Ehestreit. Schwab hatte nämlich seine Frau mit einem Revolver bedroht.«
»Hören Sie, ich verstehe noch immer nicht...«
»Lassen Sie mich weiterreden, lieber Kollege. Wie in solchen Fällen üblich, habe ich die Waffe untersuchen lassen und die Ergebnisse mit den Daten verglichen, die wir über Fälle der jüngsten Vergangenheit gespeichert haben. Nun, ich kann Ihnen berichten, daß es sich hierbei um den Revolver handelt, mit dem das Ehepaar Kircher getötet wurde!« Baumann schweigt einen Moment lang und fragt anschließend mit ungläubiger Stimme: »Ist das absolut sicher?«
»Mehr als sicher. Und das ist noch nicht alles: Leopold Schwab hat ein komplettes Geständnis abgelegt. In Anbetracht dessen werden Sie den Fall wohl wiederaufnehmen müssen, lieber Kollege...«
Niedergeschmettert murmelt Baumann ein paar zustimmende Worte und legt den Hörer auf. Die mit leisem Vorwurf gepaarte Ironie seines Kollegen ist nur zu verständlich. Wie hat ihm nur ein solcher Fehler unterlaufen können? Immerhin hat dies zu einem Justizirrtum geführt. Jetzt gilt es, auf der Stelle zu handeln.
Eine Stunde später wird Leopold Schwab in Baumanns Büro gebracht. Er unterscheidet sich in mehr als einer Hinsicht von Nicklaus Hafner, nicht nur, weil er mit seinen dreißig Jahren um einiges älter ist, sondern auch, weil er ganz offensichtlich sehr viel mehr Grips im Kopf hat.
Mit finsterer Miene sitzt er dem Kommissar gegenüber. »Erzählen Sie, wie das damals passiert ist«, fordert der ihn auf.
»Die Sache mit den Kolonialwarenhändlern meinen Sie? Ganz einfach, ich wollte bei ihnen einbrechen. Ich bin mit einem
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