Das verwunschene Haus
verdüstert sich.
»Ich wollte, daß man an einen Selbstmord glaubt, das schwöre ich Ihnen! Gestern ist mir per Zufall eine französische Zeitung in die Hand gefallen. Da entdeckte ich erst, daß mein Plan nicht aufgegangen war und daß man Hortense beschuldigt und verurteilt hat. Daraufhin habe ich sofort das Schiff hierher genommen. Das ist alles...«
Hortense Lemoine ist noch am selben Tag aus dem Gefängnis entlassen worden. Anschließend hat sie gegen Gaston einen Prozeß angestrengt und ihn auf zehntausend Francs Schadenersatz verklagt, doch die Klage wurde abgewiesen.
Es ist kein Verbrechen, seine Brieftasche an einem Uferquai zurückzulassen, und ihr ehemaliger Geliebter konnte außerdem beweisen, daß er nicht die geringste Absicht gehabt hatte, ihr zu schaden.
Obwohl ihr von Rechts wegen keine Wiedergutmachung zuteil wurde, sah sich Hortense hinterher für alles reichlich entschädigt. Durch ihre plötzliche Berühmtheit war die Männerwelt jetzt erst richtig auf sie aufmerksam geworden, und in Kürze entwickelte sie sich zu einer der bekanntesten Kurtisanen der Stadt.
Die unglückselige Augustine Vacherot hingegen, die zu religiös war, um sich scheiden zu lassen, gab sich mit einer Trennung von Tisch und Bett zufrieden, was natürlich auch ihr Vermögen miteinschloß. Was Gaston betraf, der von seinen beiden früheren Frauen von da an in Ruhe gelassen wurde, so ließ er sich jetzt mit seiner Sylvia in Paris nieder. Monsieur Constant, ein liberal denkender Mann, nahm ihn erneut in seine Kanzlei auf, und Gaston wurde später wie vorgesehen sein Nachfolger.
Mit einem Wort, Gastons Leben verlief künftig ruhig und problemlos, wenn auch dieses Ziel nur über Umwege zu erreichen gewesen war...
Im Zweifel für den Angeklagten
Es ist der 27. Juni 1958, kurz nach Mitternacht. Die meisten Bewohner der Stadt Nürnberg können wegen der drückenden Hitze nicht schlafen. Da ertönen plötzlich im alten Viertel Sanktjohann hintereinander sieben Schüsse.
Die von den Nachbarn alarmierte Polizei ist rasch am Ort des Geschehens eingetroffen. Die Detonationen kamen aus dem Häuschen von Herrn und Frau Kircher, das sich unmittelbar neben deren Kolonialwarengeschäft befindet.
Da niemand antwortet, treten die Beamten die Tür ein. Sie stürmen die Treppe nach oben, und als sie das Schlafzimmer betreten, bietet sich ihnen ein schrecklicher Anblick: Der siebzigjährige Albrecht Kircher und dessen gleichaltrige Frau Paula liegen blutüberströmt und von Kugeln durchlöchert auf ihrem Bett.
Die Polizisten durchsuchen daraufhin das übrige Haus, und im obersten Stock erwartet sie eine weitere Überraschung. In einem kleinen Mansardenzimmer schläft ein junger Mann... Oder vielmehr stellt er sich schlafend, denn wie er sollte er die Schüsse und die Blaulichtsirene nicht gehört haben?
Ein Beamter schüttelt ihn heftig: »Hör auf mit dem Theater!« Mit gespielt schlaftrunkener Stimme erwidert der Bursche: »Nicklaus Hafner... Ich bin der Lehrling von Herrn und Frau Kircher. Was ist denn passiert?«
»Die beiden sind ermordet worden! Und du hast sie auf dem Gewissen!«
Nicklaus Hafner, ein großer junger Mann von neunzehn Jahren mit einem kindlichen, fast puppenhaften Gesicht, schweigt einen Moment lang mit offenem Mund und erklärt dann unvermittelt: »Ja, ich war es...«
Der Beamte legt ihm Handschellen an. »Los, komm mit. Das kannst du alles dem Kommissar erzählen.«
Einen Tag später beginnt Kommissar Werner Baumann, Nicklaus Hafner zu vernehmen. Der schlecht rasierte junge Mann mit dem zerzausten Haar wirkt ziemlich verstört. Kommissar Baumann vermutet, daß er es mit einem eher schlichten Gemüt zu tun hat, wofür auch die Umstände seiner Verhaftung sprechen.
Nur ein Schwachkopf würde sich wieder ins Bett legen und tun, als ob er schläft, nachdem er einen solchen Mord begangen hat...
Baumanns Fragen zielen in erster Linie darauf ab, jene zwei Punkte aufzuklären, die bisher noch vollkommen im dunklen liegen: Was war das Motiv, und wo ist die Tatwaffe? Letztere ist nämlich noch nicht gefunden worden.
Sanft und behutsam, als spräche er zu einem Kind, wendet sich der Kommissar an den Verdächtigen: »Also, Nicklaus, was ist in dich gefahren?«
Der Lehrling sieht tatsächlich aus, als sei er bei einem dummen Streich ertappt worden.
»Ich hätte es nicht tun dürfen... Aber Herr Kircher hätte mich nicht mit all diesen Namen beschimpfen dürfen, nur weil ich einen Sack Mehl verschüttet
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