Das verwunschene Haus
Nachschlüssel reingekommen, und dann bin ich in ihr Schlafzimmer geschlichen, weil ich dachte, daß sie dort ihre Wertsachen aufbewahren. Aber sie sind wachgeworden, und da habe ich eben geschossen.«
»Gehörte dieser Revolver den Kirchers?«
»Nein, das war meiner.«
»Und woher hatten Sie ihn?«
»Ich hatte ihn noch vom Krieg her aufbewahrt.«
Kommissar Baumann erwidert nichts mehr. Tatsächlich handelt es sich bei der Tatwaffe um ein Modell aus dem Zweiten Weltkrieg. Alles paßt zusammen...
Dennoch ist dem Beamten bei der Sache nicht ganz wohl. Schließlich weiß er nur zu gut, daß ein solches Geständnis noch kein Beweis ist. Da geschieht am anderen Tag etwas, das ihn endgültig zu überzeugen vermag. Er verhört jetzt nämlich Leopold Schwabs Frau Lisa, die von ihm mit derselben Waffe bedroht worden ist.
Lisa Schwab ist eine große Brünette mit guten Umgangsformen. Doch sie wirkt seltsam abwesend und antwortet beinahe mechanisch auf die ihr gestellten Fragen. Unvermittelt bricht sie in Tränen aus und stammelt: »Ich muß Ihnen jetzt die Wahrheit sagen! Ich kann nicht länger schweigen... Es belastet mich zu sehr... Und außerdem sitzt jetzt ein Unschuldiger im Gefängnis!«
Dem Kommissar ist die Bedeutung dessen, was er jetzt gleich hören wird, durchaus bewußt.
Lisa Schwab fährt fort: »In der Nacht des 27. Juni 1958 ist Leopold sehr spät nach Hause gekommen. Es war schon drei Uhr morgens. Er schien ziemlich durcheinander zu sein. Als ich ihn fragte, was geschehen sei, antwortete er: >Ich habe eine Riesendummheit begangen. Ich habe einen Mann und eine Frau getötet!<«
Nun muß der Kommissar noch eine letzte Person verhören: Nicklaus Hafner... Aber was war in den jungen Mann gefahren, sich selbst zu bezichtigen? Hatte er es wirklich darauf angelegt, daß man ihn verurteilte?
Dies sind die Fragen, die er Hafner im Besuchsraum des Gefängnisses stellt.
Mit verlegener Miene erklärt der Bursche: »Zunächst einmal hatte ich große Angst. Ich hatte Angst vor den Polizisten, und da habe ich einfach irgend etwas gesagt. Und hinterher bin ich dabei geblieben, weil ich wollte, daß man von mir spricht. Ich wollte einen großen Prozeß haben, mit Anwälten und Journalisten. Erst als ich begriff, daß ich für fünfzehn Jahre ins Gefängnis sollte, habe ich die Wahrheit gesagt...« All das ist durchaus logisch angesichts der nicht sehr entwickelten Intelligenz von Nicklaus Hafner, und so wird er noch im November 1960 begnadigt und freigelassen.
In der Presse wird verschiedentlich darauf hingewiesen, daß es zum Glück die Todesstrafe in Deutschland nicht mehr gibt, und man schaudert beim Gedanken an den nicht wiedergutzumachenden Irrtum, zu dem es sonst womöglich gekommen wäre.
6. April 1961. Nicklaus Hafner ist seit mehr als vier Monaten wieder auf freiem Fuß. Leopold Schwab jedoch steht jetzt vor demselben Schwurgericht, das Nicklaus Hafner damals zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt hatte.
Während Schwab auf der Anklagebank Platz nimmt, können die Zuschauer im Gerichtssaal nicht umhin, ein gewisses Unbehagen zu empfinden. Doch wer da geglaubt hatte, der bösen Überraschungen sei es mittlerweile genug, sieht sich getäuscht. Der Prozeß gegen Leopold Schwab wird vielmehr als einer der sensationellsten überhaupt in die Annalen der deutschen Rechtsgeschichte eingehen!
Der erste Knalleffekt tritt ein, als Leopold Schwab vor Gericht sein Geständnis widerruft.
»Warum haben Sie dann zuvor behauptet, die Tat begangen zu haben?« fragt der Vorsitzende erstaunt.
Leopold Schwab macht eine vage Handbewegung.
»Ich weiß es nicht. Ich muß wohl den Kopf verloren haben...«
Diese Antwort ist alles andere als überzeugend. Man vermutet allgemein, daß Schwab diese neue Taktik auf Anraten seines Verteidigers einsetzt, doch in Anbetracht der Fakten wird er damit nicht durchkommen.
Der Vorsitzende stellt denn auch die Frage: »In dem Fall erklären Sie uns mal, wie Sie in den Besitz der Waffe geraten sind!«
Ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, erwidert der Angeklagte: »Das kann ich Ihnen leicht erklären. Am 27. Juni 1958 ging ich gegen Mitternacht auf der Straße spazieren. Als ich am Haus der Kirchers vorbeikam, hörte ich Schüsse und sah, wie ein Gegenstand aus dem Fenster geworfen wurde. Ich hob ihn auf und entdeckte, daß es ein Revolver war. Ursprünglich wollte ich ihn wieder wegwerfen, aber dann dachte ich, daß es sich um die Tatwaffe handeln müsse und daß jetzt
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