Das verwunschene Tal
Gewändern hoch, krallten sich in den Stoff, und ihre Krallen rissen tiefe Furchen in die Hände und die Gesichter der Caer. Hunde verbissen sich zugleich mit den Ratten in die Beine und in den Nacken. Ein Geier rauschte mit weit ausgebreiteten Schwingen heran und hackte nach Feithearns Knochenhelm. Sein Schnabel glitt mit einem metallischen Klirren von der Helmzier ab.
Überall waren Ratten. Sie drängten sich zwischen die Hunde und Katzen und bissen, wo immer sich ihnen ein Fleckchen Haut bot.
Eine riesige Menge von Caer und Nyrngorern drängte sich aus dem Tor. Sie flohen vor dem Angriff der Tiere. Die Caer schlugen wild um sich, rissen die Tiere von ihren Mänteln und Rüstungen, wehrten sich mit Dolchen und wütenden Schlägen. Diener und Dienerinnen rannten aus Schloss Fordmore hinaus und verschwanden in alle Richtungen. Die Dunkelheit zwischen den Häusern verschluckte sie spurlos.
Die Tiere stürzten sich auf alle Männer, die Caer-Rüstungen trugen. Die Stadtbewohner hingegen ließen sie ungeschoren. Dann riss der Strom der Flüchtenden ab. Ein einzelner Mann rannte mit schlenkernden Schritten aus dem Tor. Er trug einen weiten Mantel, der hinter ihm flatterte.
»Hester!« schrie Elivara auf.
Dhorkan zielte auf den Dämonenpriester. Aber immer wieder schoben sich große Vogel und andere Caer zwischen den Schützen und den Priester.
Um Hester bildeten die Tiere einen Ring. Hunde, große Katzen mit lohfarbenem Fell und ein kleines Rudel Lynxe schirmten ihn ab. Niemand konnte zu ihm gelangen, ohne zwei Mannslängen wütender Tiere überwinden zu müssen.
Die Stele wankte! Sie neigte sich von der Schlossmauer weg, pendelte zurück, wurde wieder nach vorn gezerrt und schien einen langen Moment unbeweglich in der Schwebe zu verharren. Dann fiel sie. Die Rebellen ließen die Stricke fahren und rannten davon. Vor ihnen öffneten sich in den Reihen der Stadtbewohner schmale Gassen.
Die Dämonenstele Feithearns schlug mit einem Geräusch, das die Grundmauern des Schlosses erbeben ließ, auf das Pflaster. Sie zersprang in mehrere Teile, aber…
Noch bevor sie den Boden berührte, zuckten Blitze knatternd in kreidebleicher Helligkeit auf. Sie fuhren zwischen der schwarzen Säule und dem Boden hin und her.
Als die Stele den Boden berührte, flammte sie in unirdischer Glut auf. Ein ungeheurer Blitz schoss senkrecht hinauf, verästelte sich tausendfach und erzeugte einen Donnerschlag, der jeden betäubte. Im Boden erschien ein Loch.
Überall flammten Blitze, schmorten die Steine, kochte die Erde. Hitzewellen schlugen von den Trümmern des Obelisken nach allen Seiten. Die Körper der toten Caer wurden in die Höhe gewirbelt und gegen die Mauern geschmettert. Die Lebenden wurden von der Helligkeit, dem Lärm, der lauter als der Donner des Sommergewitters war, den Flammen und dem verglühenden Pflaster und dem Erdreich darunter in Angst und Schrecken versetzt, und dort, wo sie dieser dämonischen Erscheinung näher waren, wie Puppen zu Boden geschleudert.
Elivara klammerte sich an Dhorkan. Der schoss seinen Pfeil ab, aber er traf nicht Feithearn, sondern blieb im Schild eines Caer stecken.
»Hester! Sieh an, was er tut!« schrie Elivara auf.
Ihr Bruder, der in diesem Moment, schaurig beleuchtet von Blitzen und Feuern und beschützt von dem Ring aus wütenden Tieren, von der roten Schlossmauer wegflüchtete, wirkte nicht mehr unbeholfen und schwachsinnig. Er war zu weit entfernt, als dass Elivara seinen Gesichtsausdruck erkennen konnte. Aber sie sah, dass er zielbewusst handelte. Seine Bewegungen waren nicht mehr die eines hilflosen Jungen. Wie er so dahinlief, mitten unter seinen Tieren, strahlte er eine Form von Macht aus, von Autorität, wie sie Elivara zum letztenmal bei ihrem Vater erlebt hatte.
Er rannte, umgeben von Tausenden Vögeln, Ratten, Katzen, Hunden und irgendwelchen anderen Tieren, in nordöstliche Richtung. Auch dort gab es keine geschlossenen Stadttore. Die Tiere folgte ihm in langen Sätzen am Boden und in der Luft. Einige Herzschläge später war dieser Spuk vorbei. Die letzten tierischen Angreifer ließen von den Caer ab.
Dann hallte Feithearns Stimme, die sich vor Wut und Enttäuschung überschlug, von den Mauern wider. Er stand neben den erloschenen Trümmern der Stele und dem dampfenden Krater und schrie: »Ihr werdet es büßen! Ihr habt euch gegen Drudin und meinen Dämon gestellt! Jeder einzelne von euch, ja, auch ihr, Soldaten, wird meinen Zorn zu spüren bekommen.«
Schweigend griff
Weitere Kostenlose Bücher