Das verwunschene Tal
Pflaster, die Echos hallten von den unbelebten Häusern wider. Riesige Schatten bewegten sich. Das Mondlicht funkelte auf der Schneide des Schwertes. Aber auf seinem Weg durch einen kleinen Teil der Nordstadt sah der Reiter keinen Caer, der ihn aufhalten wollte. Nyrngor war ausgestorben.
Ein einzelnes Licht tauchte vor ihm auf.
Er ritt scharf entlang den Hauswänden, das Tier strengte sich ein letztes Mal an und wurde schneller. Seine Lungen gingen keuchend wie löchrige Blasebälge. Das Licht ließ das Schild einer Taverne erkennen. Ein baumelndes Fass, das sich in rostigen Ketten knirschend bewegte, darauf die Worte: Trunkener Seemann & Mastbruch.
Kurz vor der Eingangstür zügelte der Reiter das Pferd, sprang mit einem Satz aus dem Sattel und zerrte das Tier in eine Hofeinfahrt. Mit drei, vier Sätzen war er an der Tür und spähte ins Innere. Dort waren der Wirt, zwei alte Mägde, drei Caer, die vor vollen Bechern saßen. Ein mächtiges Feuer loderte im Kamin, aber die fettigen Spieße und Roste waren leer.
»Sie sitzen im Warmen«, brummte der Reiter, schlug seinen Mantel weit über die Schultern zurück und hantierte an seinem Gürtel. Er schloss die Augen, murmelte einen Fluch oder eine Anrufung, spannte seine Muskeln und stieß die Tür auf. Die Caer sprangen auf und griffen nach den Schwertern.
Der Eindringling bewegte sich plötzlich mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Als ein Krug auf ihn zuflog, senkte er den hoch erhobenen Arm. Ein Dolch pfiff durch den Rauch der Wirtsstube und bohrte sich in den Hals eines Caer. Zwei Schritte brachten den Krieger in die Mitte des Raumes. Sein Schwert schlug nach rechts und traf mit der Breitseite einen Caer an der Stirn. Der Soldat brach über einem Tisch zusammen, aber noch ehe er den Boden berührte, parierte der Eindringling den ersten Schwerthieb mit seiner Klinge. Der Wirt sprang zurück, die Mägde stießen helle Schreie aus. Viermal kreuzten die beiden Männer die klirrenden Klingen in der Enge der niedrigen Gaststube. Eine Magd rannte zur Tür und schloss sie, lehnte sich mit der Schulter dagegen. Dann unterlief der Eindringling einen Hieb, lenkte das Schwert ab und riss mit der freien Hand den Dolch aus dem Gürtel des Soldaten. Der Caer starb mit einem langgezogenen Ächzen.
Der Kämpfer ließ die blutige Klinge sinken und fragte: »Befinden sich noch mehr Caer in dieser Schenke?«
Der Wirt hob einen Leuchter hoch und kam mit der Hand hinter seinem Rücken hervor. Sie hielt ein langes Küchenmesser. »Nein. Aber.«
»Keine langen Reden. Draußen ist ein Pferd. Helft mir!«
Sie plünderten die Caer aus. Stiefel und sämtliche Waffen, etwas Geld und die Teile der Rüstung verschwanden wie von Geisterhand. Der Fremde brachte das Pferd heran, und die Männer luden die toten und bewusstlosen Körper auf den Rücken des Tieres.
Dann fuhr der Krieger herum und sagte mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Ich komme zurück. Ich brauche ein Nachtlager und einen Platz für das Pferd. Die Caer lade ich bei ihren Schiffen ab.«
Der Schein der Kerze fiel in das unrasierte, schmutzige und ausgezehrte Gesicht des jungen Mannes. Plötzlich grinste der Wirt breit und sagte voll abgrundtiefer Erleichterung: »Dhorkan! Die Königin wartet schon auf dich!«
»Nicht vergeblich, wie ich beweisen konnte. Schnell! Einen Becher!«
Schon reichte ihm eine Magd einen Becher mit Wein. Dhorkan stürzte ihn in drei Zügen hinunter, rülpste laut und hob die Hand. »Wir werden später Erzählungen austauschen. Denkt an mein Pferd!«
Augenblicke später verhallten die Hufschläge des schwerbeladenen Tieres in der Dunkelheit. Nur der Schatten wanderte noch über die Hauswände. Der Mond spiegelte sich in den Eisflächen der Gasse.
*
Die Menschen, die sich innerhalb der Stadtmauern befanden, Caer wie Nyrngorer, fieberten dem Höhepunkt der Ereignisse entgegen. Sie wussten kaum, was geschehen würde. Aber sie ahnten, dass etwas in dieser Stunde geschah, was für ihr weiteres Leben bestimmend sein würde.
Am Tag war der Caer-Priester zusammen mit Hester im Streitwagen der verschwundenen Königin durch die Stadt gefahren. Elivaras Rappen hatten den Wagen gezogen. Caer stießen in Fanfaren, und andere Caer verkündeten die Botschaft: »Um Mitternacht muss jeder Bewohner Nyrngors an der Stele Feithearns vorbeigehen und sich vor den magischen Zeichen verneigen.«
Immer wieder hatte Hester sein hilfloses Lächeln aufgesetzt und nickend die Befehle des Priesters
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