Das vielfarbene Land
Kielwasser einer dreißig Meter langen Barke, beladen mit metallenen Masseln, vom Landeplatz wegtuckerten. Die Dämpfe, die ihre Sicht verschleiert hatten, lösten sich endlich auf, und sie richteten in Erwartung des Meers den Blick nach Süden.
Sie sahen eine Wolke.
»Zum Teufel, was ist das?« fragte Stein. »Sieht aus wie eine brennende Plastik-Fabrik oder eine große Vulkanöffnung. Die verdammte Wolke muß bis in die Stratosphäre hinaufreichen.«
Der Mast des Flußbootes knickte ein und zog sich zurück, der Hilfsmotor verstummte. Die Geschwindigkeit nahm zu. Die Klumpen von Sumpfgras lagen nun weiter auseinander, und das Boot folgte einer markierten Fahrrinne, die nach Südosten verlief. Es ging dicht an einer abgerundeten Landzunge vorbei, die in die Ebene hineinragte, als habe sie sich aus dem Vorgebirge der Alpen hierher verirrt. Das Boot fuhr genau auf die hochragende Wolke zu und wurde mit jeder Minute schneller, und dann sagte Elizabeth: »Lieber Gott. Das Mittelmeer ist verschwunden.«
Die Barke, die etwa einen halben Kilometer vor ihnen fuhr, fiel außer Sicht. Am Horizont im Osten und im Westen waren niedrige Punkte von Land zu sehen aber zwischen ihnen war nichts als Wasser, das sich mit dem milchigen Himmel traf. In der Mitte befand sich eine flache Vertiefung. und da war ein Geräusch, ein anschwellendes Rumpeln, begleitet von einem Zischen, das betäubende Lautstärke annahm während sie näher und näher an La Glissade Formidable heranrasten, wo der breite Rhône-Strom am Rand des Kontinents endete.
Creyns mentale Stimme erklang in den Gehirnen aller Ringträger. »Soll ich Bewußtlosigkeit einprogrammieren?« Aber alle antworteten: »Nein!«, denn ihre Neugier war größer als jede Furcht vor dem, was vor ihnen lag.
Das Boot raste über den Rand und schoß hinunter, getragen von schlammigem Wasser, das über einen steilen Fächer aus Sedimentgestein mit achtzig Kilometern in der Stunde in die Tiefen des leeren Meeresbeckens schoß.
Nach vier Stunden kamen sie ans Ende der Glissade und trieben im hellen Wasser eines großen Bittersees. Überall um sie waren die vielfarbenen Felsen der kontinentalen Wurzeln und glitzernde, phantastisch erodierte Gebilde aus Salz und Karstenit und Gips. Die Blasenfolie wurde verstaut. Das Boot breitete sein Segel aus und flog nach Südwesten davon, denn dort, erzählte Creyn ihnen, lag die Hauptstadt Muriah an der Spitze der Balearischen Halbinsel, die die Tanu "Aven" nannten, oberhalb der vollkommen glatten Weißen Silberebene.
Sie reisten noch einen Tag, überwältigt von der Seltsamkeit und Schönheit. Sie waren kaum fähig, darüber zu sprechen, abgesehen von endlosen Ausrufen in der verbalen wie in der mentalen Sprache. Creyn antwortete darauf: »Ja, es ist wundervoll. und es kommt noch mehr, herrlicher, als ihr es euch vorstellen könnt.«
Am späten Abend des sechsten Tages nach ihrer Abreise von der Torburg kamen sie an. Die hohe Halbinsel von Aven streckte sich grün und hügelig nach Westen. Ein isolierter Berg erhob sich nahe ihrer Spitze, und weitere Gipfel waren im Nebel halb versteckt. Ein Gespann von Helladotherien in schimmerndem Putz aus regenbogenfarbenem Stoff zog das Boot einen langen gewalzten Weg hinauf, während Chaliko-Reiter in Gazegewändern und gläsernen Rüstungen, Lichter, Tierkopfhörner und Banner in den Händen, dem steilen Treidelpfad folgten. Die zum Empfang erschienenen
Tanu sangen auf dem ganzen Weg zu der strahlenden Stadt hoch über dem Salz. Ihr Lied hatte eine Ohrwurm-Melodie, die Bryan merkwürdig bekannt vorkam. Doch die menschlichen Wesen, die den Ring trugen, waren fähig, die fremden Worte zu verstehen:
Li gan nol po'köne niesi,
'Kone o lan Ii pred near,
u taynel compri la neyn,
Ni blepan algar dedöne.
Shompri pöne, a gabrinel,
Shal u car metan presi,
Nar metan u bor taynel o pogekone,
Car metan sed göne mori ...
Ein Land glänzt durch Leben und Zeit,
ein schönes Land, solange die Erde besteht,
und vielfarbene Blüten fallen darauf nieder
Von den alten Bäumen, in denen die Vögel singen.
Jede Farbe leuchtet dort, Entzücken ist allgemein,
Musik erfüllt die Silberebene,
Die Ebene der sanften Stimmen im Vielfarbenen Land,
Die Weiße Silberebene im Süden.
Dort gibt es kein Weinen, keinen Verrat, kein Leid.
Dort gibt es keine Krankheit, keine Schwäche, keinen Tod.
Dort gibt es Reichtümer, Schätze in vielen Farben,
Süße Musik zu hören, den besten Wein zu trinken.
Goldene Wagen
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