Das vielfarbene Land
Komplexes empfing sehr wenig Sonne. In dem matten bläulichen Dämmerlicht wuchsen fast keine niedrigen grünen Pflanzen nur Saprophyten, die sich von dem Abfall der großen Bäume ernährten. Einige der Dinge, die von der Zersetzung gediehen, waren degenerierte Samenpflanzen, blasse Stengel mit nickenden geisterhaften Blüten von bleiernem Weiß, rötlichem Braun oder fleckigem Gelb. Aber vorherrschend unter den Fressern der Toten waren die Pilze und Schwämme. Den fünf Menschen, die den Schwarzwald des Pliozän durchquerten, kam es vor, als seien diese und nicht die hochaufragenden Koniferen die dominierende Lebensform.
Zitternde Klumpen in Orange oder Weiß oder aus einem staubig-transparenten Gelee krochen langsam wie riesige Amöben über die toten Nadeln und das faulende Holz. Da waren Schleimpilze von zarten rosafarbenen, die Baby-Ohren ähnelten, bis zu steifen Jumbos, die aus den Stämmen wie Treppenstufen herausragten und das Gewicht eines Mannes tragen konnten. Da waren schwammige Massen von gesprenkelten schwarzen und weißen, die mehrere Quadratmeter Waldboden bedeckten, als wollten sie eine unaussprechliche Scheußlichkeit verhüllen. Da waren duftige Filamente, hellblau und elfenbeinfarben und scharlachrot, die wie zerfetzte Spitzen von faulenden Ästen hingen. Der Wald beherbergte Boviste mit Köpfen von zweieinhalb Metern Durchmesser und andere so klein wie die Perlen einer gerissenen Kette. Eine Art besetzte verrottende Teile mit festen kleinen Körnern, die farbigem Popcorn glichen. Es gab obszöne Formen, die krebskranken Organen ähnelten, anmutige Reihen aufrechtstehender Fächer, Nachbildungen von Stük-ken rohen Fleisches, hübsch polierte Formen wie Ebenholz-Sterne, krankhaft nässende purpurne Phallusse, umgestülpte Feenschirme, pelzige Würste und Champignons und Fliegenpilze in zahllosen Variationen.
Nachts phosphoreszierten sie.
Die Reisenden brauchten weitere acht Tage, um den Pilzwald hinter sich zu bringen. Während dieser Zeit sahen sie kein Tier, das größer war als ein Insekt, aber nie wurden sie das Gefühl los, unsichtbare Beobachter lauerten gerade außerhalb ihres Gesichtsfeldes. Madame Guderian versicherte ihren Gefährten immer wieder, das Gebiet sei trotz seiner unheilschwangeren Wirkung ungefährlich. Im Pilzreich des Lebens-im-Tod gab es keine Nahrungsquelle für Raubtiere, und erst recht nicht für die Firvulag, die als Fleischfresser bekannt waren. Die dicht verflochtenen oberen Zweige machten es der Fliegenden Jagd unmöglich, zu erkennen, ob sich unten etwas bewegte. Andere Erkundungstrupps der Geringen waren in ähnliche Wälder der Bergkette weiter nördlich vorgedrungen und hatten berichtet, sie seien bis auf die Bäume, die triumphierenden Pilze und ihre Parasiten leer.
Aber das Gefühl blieb ihnen trotzdem.
Sie litten und murrten auf dem ganzen Weg durch den geisterhaften Wald, sie wateten durch weiche Gewächse, die trügerische, die Knöchel gefährdende Löcher verbargen. Richard erklärte, er ersticke an den Sporen in der Luft. Martha verfiel in anämisches Schweigen, nachdem sie Madame einmal zu oft mit der Meldung belästigt hatte, irgend etwas schleiche zwischen den riesigen Giftschwämmen umher. Claude fing sich ein heftiges Jucken ein, das an den Geschlechtsteilen begann und über den ganzen Körper bis in seine Achselhöhlen hochkroch. Sogar Felice war auf diesem endlosen Treck kurz davor zu schreien; sie war überzeugt, es wüchse etwas in ihren Ohren.
Als sie endlich aus dem Pilzwald auftauchten, brachen sie alle auch Madame in Rufe der Erleichterung aus. Sie kamen auf eine in hellem Sonnenschein liegende alpine Wiese, die sich nach Norden und nach Süden auf der Flanke eines welligen Kammes erstreckte. Ein einziger nackter Felsen erhob sich spitz zu ihrer Linken, nach rechts waren zwei wei-;re kahle graue Kuppeln zu sehen. Vor ihnen in östlicher Achtung sahen sie den runden Gipfel des Feldbergs.
»Blauer Himmel!« rief Martha. »Grünes Gras!« Ohne an ihre Schwäche zu denken, sprang sie über die blumengetupfte Alp und kletterte den östlichen Grat hinauf. Die anderen folgten langsamer. »Da unten ist ein kleiner See, keinen halben Kilometer entfernt!« verkündete sie. »und schöne, normale Bäume! Ich werde mich einseifen und schrubben und in der Sonne liegen, bis ich braungebraten bin. und niemals mehr, solange ich lebe, will ich einen Pilz sehen.«
»Sagen Sie das noch einmal, Süße«, stimmte Richard ihr zu. »und wenn es eine
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