Das vierte Opfer - Roman
gekommen waren – nachdem die Teetassen geleert und von neuem gefüllt worden und die blassen Kekse (die Frau Linckx offensichtlich in aller Eile in einem Kiosk gekauft hatte) zusammengeschrumpft waren –, desto mehr war sein Respekt gestiegen. Er hätte es nicht besser machen können, ganz gewiß nicht, und ihm war genau die richtige, ziemlich geruhsame Rolle zugeteilt
worden: Er saß in seiner Sofaecke und flocht ab und zu mal eine Frage ein.
Genau richtig. Es war nicht nur ihr Haar und ihr Aussehen. Sie schien auch eine verdammt gute Polizistin zu sein.
»Wie lange waren Sie eigentlich schon mit Maurice zusammen?«
»Nicht so lange.«
Beatrice Linckx strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Von rechts nach links, eine wiederkehrende Geste.
»Ein paar Jahre?«
»Ja. Wir haben uns im September 1993 kennengelernt. Sind dann ungefähr ein Jahr später zusammengezogen.«
»Also seit vier Jahren?«
»Ja.«
Und das ist nicht so lange? dachte Münster.
»Sind Sie in Aarlach geboren?«
»Nein, in Geintz, aber ich habe in Aarlach gewohnt, seit ich zwölf war.«
»Aber Sie haben Maurice Rühme erst 1993 kennengelernt. Da hatte er schon... sechs Jahre dort gewohnt, nicht wahr?«
»Aarlach ist keine kleine Stadt, Frau Inspektor«, sagte Beatrice Linckx mit diesem blassen Lächeln, das neu an ihr war. »Nicht wie Kaalbringen... aber wir haben uns sicher schon vorher mal irgendwo gesehen. Wir haben uns darüber auch mal unterhalten.«
»Wissen Sie, wie es ihm in den Jahren erging, bevor Sie sich kennenlernten?«
Sie zögerte.
»Ja«, sagte sie. »Ich weiß einiges. Aber wir haben nicht darüber geredet. Er wollte das nicht, und außerdem war das Kapitel abgeschlossen.«
»Ich verstehe. Keine alten Freunde mehr aus der Zeit? Die es heute noch gibt, meine ich.«
»Nicht viele.«
»Aber es gibt noch welche?«
Beatrice Linckx dachte nach.
»Zwei.«
»Wären Sie so nett, uns die Namen zu geben?«
»Jetzt?«
»Ja bitte.«
Beate Moerk reichte ihren Block hinüber, und Frau Linckx schrieb hastig ein paar Zeilen.
»Die Telefonnummern auch?«
Beate Moerk nickte.
Beatrice Linckx verschwand aus dem Zimmer und kam mit einem Adreßbuch zurück.
»Danke«, sagte Beate Moerk, als sie ihren Block zurückbekommen hatte. »Finden Sie es unangenehm, wenn wir in diesen alten Geschichten herumwühlen?«
»Sie tun ja nur Ihre Arbeit, nehme ich an.«
»Warum sind Sie nach Kaalbringen gezogen?«
»Nun ja...« Wieder zögerte sie einen Augenblick. »Maurice war anfangs ziemlich dagegen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie es um seine Beziehung zu Jean-Claude, seinem Vater, stand?«
Beate Moerk nickte.
»Ich fürchte, ich war es, die ihn dazu überredet hat. Ja, natürlich hing es von der Arbeitsstelle ab. Ich nehme an, daß Sie das verstehen. Die beiden Stellen wurden gleichzeitig ausgeschrieben, sogar am gleichen Tag, und ich dachte wohl... daß es so was wie ein Zeichen war. Maurice meinte, es wäre was anderes.«
»Was haben Sie in Aarlach getan?«
»Maurice hatte eine Vertretungsstelle im Pflegeheim. Nicht gerade seine Spezialität. Ich habe an drei, vier verschiedenen Schulen gearbeitet...«
»Und dann haben Sie plötzlich Ihren Traumjob hier in Kaalbringen bekommen?«
»Vielleicht nicht ganz den Traumjob, aber es war auf jeden
Fall eine deutliche Verbesserung. Von unseren Ausbildungen her gesehen, meine ich.«
Beate Moerk blätterte ihren Notizblock um und überlegte eine Weile. Frau Linckx goß Tee nach. Münster betrachtete verstohlen die beiden Frauen. Er versuchte, sich Synn in dem dritten, leeren Sessel vorzustellen, aber das wollte ihm nicht so recht gelingen... alle drei waren in etwa im gleichen Alter, fiel ihm plötzlich auf. Es überraschte ihn, und er wunderte sich darüber, daß ihn das überraschte. Vielleicht wurde es langsam Zeit, daß er auch einmal eine Frage stellte? Wartete Inspektorin Moerk nicht genau darauf?
»Wollen wir zum Wesentlichen kommen«, schlug er vor. »Damit wir Sie nicht zu lange plagen müssen, Frau Linckx...«
»Ja, bitte.«
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, wer es gewesen sein könnte, der Ihren Lebensgefährten umgebracht hat?«
Die Frage war etwas brutal, ohne Zweifel. Er sah, daß Beate Moerk ihm einen Blick zuwarf, aber die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Nein. Ich habe keine Ahnung.«
»Hatte Maurice irgendwelche Feinde?« fuhr Beate Moerk fort, wo er nun schon einmal angefangen hatte. »Jemanden, von dem Sie wissen, daß er ihm
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