Das vierte Protokoll
die Fahrbahn gestellt und waren aus ihrem Wagen gestürzt, zwei mit Maschinenpistolen und einer mit einem Revolver.
Preston, der nur noch zwischen Himmel und Hölle wählen konnte, ergriff die Initiative. Wider jede Vernunft und zur Verblüffung seiner Angreifer ließ er sich blitzschnell aus der Tür seines Wagens rollen, genau in dem Augenblick, als die Maschinenpistolen das Fahrzeug durchsiebten. Er hatte seinen dreizehnschüssigen 9-mm-Browning in der Hand, auf Automatik gestellt. Auf dem Kopfsteinpflaster liegend, gab er es ihnen. Sie hatten erwartet, daß er sich mit Würde abmurksen ließe. Sie standen zu nah beisammen.
Mit einer Serie von Schüssen hatte er zwei auf der Stelle getötet und dem dritten eine Kugel in den Hals gejagt. Der Fahrer der Provos hatte den Gang hineingehauen und war in einer Rauchfahne mit glühenden Reifen verschwunden. Preston schaffte es bis zu einem sicheren Haus, das mit vier Mann der SAS belegt war; sie hatten ihn dort behalten, bis Capstick erschien, um ihn heimzubringen.
Natürlich war der Teufel los gewesen - Nachforschungen, Verhöre, besorgte Fragen von oben. Daß er weitermachte, kam nicht in Frage. Er war ein für allemal »verbrannt«, um den Fachausdruck zu gebrauchen, will heißen identifiziert. Er war nutzlos geworden. Der überlebende Provo würde sein Gesicht überall wiedererkennen. Er durfte nicht einmal zurück zu seiner alten Einheit, den Fallschirmjägern in Aldershot. Wer konnte wissen, wie viele Provos in Aldershot herumlungerten? Man ließ ihm die Wahl zwischen Hongkong und dem Rausschmiß. Dann führte Bertie Capstick ein Gespräch mit einem Freund. Es gab eine dritte Möglichkeit. Die Army als einundvierzigjähriger Major verlassen und Späteinsteiger bei MI5 werden. Preston hatte sich für diesen Weg entschieden.
»Irgendwas Besonderes?« fragte Capstick.
Preston schüttelte den Kopf.
»Nur eine kleine Runde zum Kennenlernen«, sagte er.
»Kopf hoch, Johnny. Ich weiß jetzt, wo Sie Ihre Zelte aufgeschlagen haben, und ruf Sie an, falls hier mehr passiert, als daß einer die Weihnachtskasse mitgehen läßt. Übrigens, was macht Julia?«
»Hat mich sitzenlassen. Schon vor drei Jahren.«
»Oh, das tut mir leid.«
Bertie Capsticks Gesicht verzog sich in echtem Mitgefühl.
»Ein anderer?«
»Nein. Damals nicht. Jetzt schon, glaube ich. Es war der Job... Sie wissen ja.«
Capstick nickte finster.
»Meine Betty hat sich da immer recht gut gehalten«, sinnierte er. »War mein halbes Leben lang von zu Hause fort. Ist eine treue Seele. Bei der Stange geblieben. Trotzdem, kein Leben für eine Frau. Hab's miterlebt. Oft sogar. Trotzdem, ist immer ein Schlag. Sehen Sie den Jungen?«
»Gelegentlich«, gab Preston zu.
Capstick hätte keine wundere Stelle berühren können. In seiner kleinen, einsamen Wohnung in Kensington hatte Preston zwei Fotos aufgestellt. Das eine zeigte ihn und Julia am Hochzeitstag, er sechsundzwanzig, in seiner schmucken Fallschirmjäger-Uniform, sie zwanzig, eine schöne Braut in Weiß. Das andere Foto zeigte seinen Sohn Tommy.
Sie hatten eine normale Soldatenehe in verschiedenen Garnisonen geführt, und nach acht Jahren war Tommy zur Welt gekommen. Nun war John Preston wunschlos glücklich, aber nicht so seine Frau. Julia hatte bald genug gehabt von den Mutterpflichten, der Langeweile während seiner Abwesenheit, und hatte angefangen, sich über die Geldknappheit zu beklagen. Sie drängte ihn ständig, er solle die Army verlassen, um in einem Zivilberuf mehr zu verdienen. Sie wollte nicht verstehen, daß er seinen Job liebte und daß ihn das Einerlei einer Schreibtischarbeit in Handel oder Industrie verrückt gemacht hätte.
Nach seiner Versetzung zum Nachrichtendienst wurde alles nur noch schlimmer. Er wurde nach Ulster geschickt, wohin Ehefrauen nicht mitdurften. Dann ging er in den Unterg r und, und jede Verbindung riß ab. Nach der Geschichte in Bogside machte sie aus ihren Gefühlen kein Hehl. Eine Weile versuchten sie es noch, wohnten in einem Vorort, und Preston arbeitete in »Fünf« und fuhr fast jeden Abend heim. Jetzt waren sie zwar wieder beisammen, aber die Ehe war nicht mehr zu retten. Julia wollte mehr, als man für das Anfangsgehalt eines Späteinsteigers bei »Fünf« bekommen konnte.
Sie hatte eine Stellung als Empfangsdame in einem Modehaus im West End angenommen, und als Tommy acht wurde, kam er auf ihr Betreiben in eine Privatschule in der Nähe ihres bescheidenen Heims. Das Schulgeld hatte die Finanzen noch
Weitere Kostenlose Bücher