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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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hatten sie gesagt. Er spürte keinen. Die kreischenden Räder sausten über die Stelle hinweg, das Tempo betrug noch immer fünfzig Stundenkilometer.
    Als er den Zug endlich zum Halten brachte, konnte er nicht einmal nachsehen. Er rannte zu einem der Gehöfte und gab Alarm. Als die Polizei mit Lampen anrückte, sah die Masse auf den Gleisen aus wie Erdbeermarmelade. Hans Grobbelaar kam erst in der Morgendämmerung nach Hause.
    Am selben Tag, nur vier Stunden später, betrat John Preston die Eingangshalle des Verteidigungsministeriums in Whitehall, ging zum Empfang und zeigte seinen Dienstausweis vor. Nach dem unvermeidlichen Kontrollanruf bei dem Mann, den er aufsuchen wollte, wurde er im Lift hinaufgefahren und zum Büro des Sicherheitschefs des Ministeriums geführt, einem Raum hoch oben an der Rückseite des Gebäudes, mit Blick auf die Themse.
    Brigadegeneral Bertie Capstick hatte sich kaum verändert, seit Preston ihn vor Jahren in Ulster zum letztenmal gesehen hatte. Der große, blühend aussehende, freundliche Mann mit den Apfelbäckchen, der mehr einem Farmer als einem Militär glich, empfing ihn mit einem donnernden:
    »Johnny, mein Junge, das darf ja nicht wahr sein! Kommen Sie, kommen Sie rein.«
    Obwohl Bertie Capstick nur zehn Jahre älter war als Preston, nannte er ihn wie fast jeden jüngeren Mann unweigerlich »mein Junge«, und dieser väterliche Ton paßte zu seinem Aussehen. Aber er war ein harter Soldat gewesen, der sich während des Malaysia-Konflikts tief in das Gebiet der Terroristen vorgewagt und später, während der sogenannten indonesischen Konfrontation, eine Gruppe von Infiltrationsexperten im
    Dschungel von Borneo befehligt hatte.
    Capstick bot Preston einen Stuhl an und brachte aus einem Aktenschrank eine Flasche Malzwhisky zum Vorschein.
    »Einen zwitschern?«
    »Bißchen früh«, meinte Preston. Es war erst kurz nach elf Uhr.
    »Unsinn. Auf die alten Zeiten. Der Kaffee, den man hier kriegt, ist ohnehin ungenießbar.«
    Capstick setzte sich und schob Preston das Glas über den Schreibtisch hinweg zu.
    »So, und was ist mit Ihnen passiert, mein Junge?«
    Preston schnitt ein Gesicht.
    »Ich hab's Ihnen ja schon am Telefon gesagt, was sie mir verpaßt haben«, sagte er. »Verdammten Polizistenjob. Nichts für ungut, Bertie.«
    »Mir ging's genauso, Johnny. Abgehalftert. Natürlich bin ich jetzt Offizier a. D., also nicht schlecht gestellt. Bin mit fünfundfünfzig in Pension gegangen und in das Pöstchen hier reingerutscht. Nicht übel. Jeden Morgen mit der Bahn reinzuckeln, alle Sicherheitsmaßnahmen kontrollieren, achtgeben, daß kein faules Ei in der Mannschaft ist, und dann wieder heim zum Frauchen. Könnte schlimmer sein. Also, auf die alten Tage!«
    »Cheers«, sagte Preston. Beide tranken.
    Die alten Tage waren allerdings nicht ganz so rosig gewesen, dachte Preston. Als er vor nunmehr sechs Jahren den damaligen Oberst Bertie Capstick zuletzt gesehen hatte, war der scheinbar so joviale Offizier stellvertretender Leiter des Militärischen Abschirmdienstes in Nordirland gewesen, mit Amtssitz in jenem Gebäudekomplex in Lisburn, dessen Datenbanken auf Anfrage sagen konnten, welcher IRA-Mann sich in letzter Zeit am Hintern gekratzt hatte.
    Preston war einer von Capsticks »Jungens« gewesen. Er hatte in Zivilkleidung, als »Verdeckter«, gearbeitet, sich in den Gettos extremer Provos bewegt, um mit Spitzeln zu sprechen oder Päckchen aus toten Briefkästen abzuholen. Bertie Capstick hatte loyal zu ihm gestanden gegen die neunmalklugen Beamten von Holyrood House, als Preston bei einem Einsatz für Capstick »verbrannte« und fast ums Leben gekommen wäre.
    Das war am 28. Mai 1981 gewesen. Die Zeitungen hatten am Tag darauf ein paar spärliche Einzelheiten gebracht. Preston war in einem Privatauto zum Bogside-Viertel in Londonderry unterwegs gewesen, wo er einen Spitzel treffen wollte. Ob irgendwo weiter oben eine undichte Stelle war, ob er dasselbe Auto einmal zu oft gefahren hatte, oder ob sein Gesicht von Nachrichtenleuten der Provos »ausgemacht« worden war, kam nie heraus. Egal, sie hatten ihm einen Hinterhalt gelegt. Gerade als er in die Hochburg der Republikaner einfuhr, war ein Wagen mit vier bewaffneten Provos aus einer Seitenstraße hinter ihm aufgetaucht und ihm gefolgt.
    Er hatte sie natürlich bald im Rückspiegel geortet und den Treff sofort abgeschrieben. Aber die Provisionais wollten mehr als das. Im Zentrum des Gettos waren sie an ihm vorbeigezogen, hatten sich quer auf

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