Das vierte Protokoll
sofort. Was half ihm alles Geld, wenn er seine Hände und seine Existenz verlor? Der Inquisitor dachte ruhig über das Gehörte nach.
»Schlüssel«, sagte er.
Sie steckten in Levys Hosentasche. Der Inquisitor nahm sie an sich und stieg aus. Sekunden später knirschte die zweite Limousine über das gefrorene Gras zur Fahrstraße. Sie blieb fünfzig Minuten fort.
Während der ganzen Zeit hielt sich Levy wimmernd die zermalmte Hand. Für die Männer rechts und links von ihm schien er Luft zu sein. Der Fahrer saß da und starrte geradeaus, die behandschuhten Hände lagen auf dem Steuerrad. Als der Inquisitor wieder zustieg, machte er keine Bemerkung über die vier kostbaren Steine, die jetzt in seiner Tasche steckten. Er sagte nur:
»Letzte Frage: Der Mann, der sie gebracht hat.«
Levy schüttelte den Kopf. Der Inquisitor seufzte ob der Zeitverschwendung und nickte dem Mann an Levys rechter Seite zu. Die beiden Schwergewichte tauschten die Rollen. Der rechte packte die Zange und Levys rechte Hand. Als auch an dieser Hand zwei Fingerknöchel zerquetscht waren, sagte Levy, was man von ihm wissen wollte. Der Inquisitor stellte noch ein paar kurze Zusatzfragen, dann schien er zufrieden. Er stieg aus und ging zu seinem eigenen Wagen. Im Geleitzug rumpelten die beiden Limousinen wieder zur Straße. Sie fuhren zurück nach Nijlen.
Als sie an seinem Haus vorüberkamen, sah Levy, daß es drinnen dunkel und die Tür geschlossen war. Er hoffte, die Männer würden ihn hier aussteigen lassen, aber das taten sie nicht. Sie fuhren durch das Städtchen. Die Lichter der Cafés, warm und gemütlich in der eisigen Winternacht, glitten an den Autofenstern vorbei, aber niemand kam auf die Straße gelaufen. Levy konnte sogar die blaue Neonschrift »Politie« über dem Polizeirevier gegenüber der Kirche sehen, aber auch hier kam niemand heraus.
Zwei Meilen östlich von Nijlen kreuzt die Looy Straat die Eisenbahnschienen an einer Stelle, wo die Strecke Lier- Herenthals schnurgerade verläuft und die großen Diesel-E-Loks mit einhundertzwanzig Stundenkilometern durchbrausen. Zu beiden Seiten des schienengleichen Bahnübergangs stehen Bauernhöfe. Die Limousinen hielten knapp vor dem Bahnübergang. Scheinwerfer und Motoren wurden abgeschaltet.
Ohne ein Wort öffnete der Fahrer das Handschuhfach, holte eine Flasche heraus und reichte sie nach hinten zu seinen beiden Kumpanen. Der eine hielt Levy die Nase zu, und der andere goß ihm den weißen Kornschnaps einheimischer Sorte in die nach Luft ringende Kehle. Als die Flasche bis auf ein Viertel leer war, hörten sie auf und ließen von ihrem Opfer ab. Der Alkohol begann Raoul Levys Hirn zu umnebeln. Sogar die Schmerzen ließen ein wenig nach. Die drei Männer im Wagen und der vierte in der Limousine vor ihnen warteten schweigend.
Um dreiundzwanzig Uhr fünfzehn kam der Inquisitor aus dem vorderen Wagen und murmelte etwas durchs Fenster. Levy war jetzt bewußtlos, nur von Zeit zu Zeit zuckten seine Glieder krampfhaft. Seine Nebenmänner hievten ihn aus dem Wagen und schleiften ihn zwischen sich zu den Schienen. Um dreiundzwanzig Uhr zwanzig schlug einer von ihnen Raoul Levy mit einer schweren Eisenstange über den Kopf, und er starb. Sie legten ihn auf die Gleise, die zerschmetterten Hände auf eine Schiene, und den eingeschlagenen Schädel dicht daneben.
Hans Grobbelaar fuhr mit seinem letzten Güterexpreß in dieser Nacht wie immer um Punkt dreiundzwanzig Uhr in Lier ab. Er kannte den Fahrtverlauf zur Genüge: Um ein Uhr würde er zu Hause in Herenthals in seinem warmen Bett liegen. Der Zug hielt unterwegs nicht, und er passierte Nijlen pünktlich um dreiundzwanzig Uhr neunzehn. Nach den Kreuzungen im Stadtbereich schaltete Hans Grobbelaar auf volle Kraft und brauste die Gerade zum Übergang an der Looy Straat mit fast einhundertzwanzig Stundenkilometern dahin. Die Scheinwerfer der großen 6268-Lok beleuchteten achtzig vor ihm liegende Schienenmeter.
Erst kurz vor der Looy Straat sah er die schlaffe Gestalt auf dem Gleis liegen. Er bremste mit aller Kraft. Ein Funkenregen sprühte unter den Rädern hervor. Der Güterexpreß verlangsamte die Fahrt, aber es war längst zu spät. Hans Grobbelaar beobachtete entsetzt durch die Windschutzscheibe, wie die Scheinwerfer auf das Bündel zuflogen. Zwei seiner Kollegen hatten so etwas schon erlebt; Selbstmörder oder Betrunkene, es war nicht festzustellen gewesen. Nicht mehr. In einer solchen Maschine spürt man nicht einmal einen Anprall,
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