Das vierte Protokoll
Karriere im Außenministerium unmittelbar nach dem Universitätsabschluß begonnen. Er hatte sich bewährt, drei verschiedene Auslandsposten gehabt und war im Diplomatischen Corps stetig, wenn auch nicht spektakulär, avanciert.
Mitte der sechziger Jahre hatte er Lady Fiona Glen geheiratet und kurz darauf, begleitet von seiner jungen Frau, einen Posten in Pretoria angetreten. Vermutlich hatte er dort, unter dem Eindruck der traditionellen und nahezu grenzenlosen südafrikanischen Gastlichkeit seine tiefe Sympathie und Bewunderung für diese Republik entwickelt. In England war eine Labour-Regierung an der Macht, Rhodesien in Aufruhr, und so wurde Berensons immer offenkundigere Wertschätzung Pretorias in London nicht gut aufgenommen.
Nach seiner Rückkehr nach England 1969 kam ihm vermutlich zu Ohren, sein nächster Posten werde wohl in einem weniger umstrittenen Land sein - etwa in Bolivien.
Die Männer am Tisch konnten nur Mutmaßungen anstellen, aber es war durchaus wahrscheinlich, daß Lady Fiona, die sich Pretoria gerade noch hatte gefallen lassen, das Ansinnen schlankweg zurückwies, auf ihre geliebten Pferde und den gewohnten gesellschaftlichen Umgang zu verzichten, nur um drei Jahre irgendwo hoch in den Anden zu verbringen.
Was immer auch der Grund gewesen sein mochte, George Berenson hatte sich um eine Versetzung ins Verteidigungsministerium beworben, die als Abstieg betrachtet wurde. Aber angesichts des Vermögens seiner Frau mußte er auf sie Rücksicht nehmen. Nachdem er nicht mehr den Zwängen des auswärtigen Dienstes unterlag, wurde er Mitglied mehrerer prosüdafrikanischer Verbände, denen im allgemeinen nur Angehörige der politischen Rechten beitreten.
Zumindest Sir Peregrine Jones wußte, daß Berensons bekannte und demonstrative rechtslastige Sympathien es ihm, Jones, unmöglich gemacht hatten, Berenson für die Erhebung in den Adelsstand vorzuschlagen, ein Umstand, der, wie ihm jetzt klar wurde, Berensons Ressentiments noch mehr angeheizt haben mochte.
Nach der Lektüre des Berichts hatten die Ausschußmitglieder angenommen, Berensons Sympathien für Südafrika seien die Tarnung für seine prosowjetische Einstellung gewesen.
Nun hatte Sir Nigel Irvines Hinweis ein neues Licht auf die Sache geworfen.
»Unter falscher Flagge?« sinnierte Sir Paddy Strickland. »Sie meinen, er hat wirklich geglaubt, daß er Geheimdokumente an Südafrika liefert?«
»Eine Frage läßt mich nicht los«, sagte »C«. »Wenn er wirklich mit den Sowjets sympathisiert oder insgeheim Kommunist ist, warum hat die Moskauer Zentrale ihn nicht durch einen Russen führen lassen? Ich kenne fünf Leute an ihrer Botschaft, die diesen Job genauso gut hätten erledigen können.«
»Well, ich muß gestehen, ich weiß nicht...«, begann Sir Anthony Plumb. In diesem Moment hob er den Kopf und erhaschte Sir Nigel Irvines Blick vom anderen Tischende. Irvine blinzelte blitzschnell mit einem Auge. Sir Anthony Plumb zwang sich, wieder auf die Berenson-Akte zu starren Nigel, du gerissener Hund, dachte er, du stellst keine Mutmaßungen an - du weißt es genau.
Tatsächlich hatte Andrej ew zwei Tage zuvor etwas zu berichten gewußt. Es war nicht viel gewesen, nur Kantinenklatsch aus der Sowjetbotschaft. Er hatte mit dem N- Mann ein Glas getrunken und ein bißchen gefachsimpelt. Dabei hatte er auch die gelegentlichen Vorteile eines Anlaufens unter falscher Flagge erwähnt; der Vertreter des Direktorats der Illegalen hatte gelacht, gezwinkert und sich mit dem Zeigefinger an die Nase getippt. Andrejew legte das so aus, daß im Moment in London tatsächlich eine Operation unter falscher Flagge lief, von der der N-Mann etwas wußte. Sir Nigel kam, als er davon hörte, zu demselben Schluß.
Und noch ein Gedanke ging Sir Anthony durch den Kopf. Wenn du es wirklich weißt, Nigel, dann mußt du eine Quelle direkt in der Rezidentura haben, du alter Fuchs. Eine weitere Überlegung war weniger amüsant. Warum sagte er es nicht rundheraus? Alle Anwesenden waren doch absolut vertrauenswürdig, oder etwa nicht? Fröstelndes Unbehagen regte sich in ihm. Er blickte auf.
»Ich glaube, wir sollten Nigels Hinweis ernstlich in Betracht ziehen. Er klingt vernünftig. Was schlagen Sie vor, Nigel?«
»Der Mann ist ein Verräter, daran ist nicht zu zweifeln«, sagte »C«. »Wenn man ihn mit den Dokumenten konfrontiert, die uns anonym zurückgeschickt wurden, so muß ihm das einen ordentlichen Stoß versetzen. Und wenn man ihm Prestons Südafrika-Bericht
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