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Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Sons
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mit entschlossenem Gesichtsausdruck und verschränkten Armen vor ihm stehen und begann auf den Fußballen zu wippen, als er ihrer Aufforderung nicht schnell genug nachkam.
    So viel Zeit hatte er noch nie benötigt, um sich zu entkleiden. Jede Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit hatten ihn verlassen. Es schien fast so, als hätte er eine Vielzahl von Knoten in Armen und Beinen. Doch schließlich ließ er sich in das heiße Wasser gleiten und schloss auch befehlsgemäß die Augen.
    Sie löste einen Verband von der Taille, starrte traurig auf die genähte und gut verheilte Wunde, dachte daran, dass sie jetzt auf seinem Oberkörper wirklich nirgendwo mehr ihre Hand ablegen konnte, ohne eine Narbe zu berühren, und forderte streng: »Jetzt rede schon! Sei nicht verstockt! Rede, bevor ich die Geduld verliere!«
    Er hätte es selbst nie für möglich gehalten, aber während er zunächst im warmen Wasser und dann auf der Liege lag und Caitlin Öle in seine verspannten Muskeln knetete, erzählte er ihr von seiner Kindheit, erzählte einfach, was ihm gerade so in den Sinn kam. Er redete und redete, und sie verdrängte oft ihre Tränen, obwohl er es – wie immer, wenn er über sich sprach – strikt vermied, Gefühle oder Empfindungen jedweder Art in seine Erzählungen einzubringen, und kühl und sachlich berichtete, als ginge ihn die ganze Sache nur ganz am Rande etwas an.
    Irgendwann prustete sie bei einer Geschichte los, bog sich vor Lachen und erklärte mit zitternder Stimme: »Ich kann mir gut vorstellen, wie dein Vater geguckt hat. Du hast dir Steine ins Haar gebunden? Oh, Rhonan, warum denn nur?«
    »Brandon und Mathew spotteten immer über meine Locken, und ich dachte, ich könnte sie gerade ziehen, wenn ich sie nur lange genug beschwere. Ich hatte das in der Nähstube gesehen. Da hingen Steine an den Garnen, damit die glatt wurden.«
    Er hörte Caitlin erneut kichern, öffnete die Augen und musste nun auch lachen. »Es hat wohl wirklich seltsam ausgesehen, aber lach jetzt nicht auch noch über mich. Ich war doch erst vier oder vielleicht fünf. Außerdem war es, wenn ich mich recht erinnere, ziemlich schmerzhaft, als eine Dienerin die völlig verknoteten Haare wieder zu lösen versuchte«, erklärte er grinsend.
    Sie hätte ihn am liebsten in den Arm genommen, weil ihr Herz vor Mitleid für einen kleinen Jungen, der wirklich alles versucht hatte, um von seiner Familie angenommen zu werden, fast überquoll, aber sie wusste auch längst, dass er kaum etwas mehr hasste als Mitleid.
    Also bedachte sie ihn stattdessen mit einem aufgesetzten Lächeln. »Hat es tatsächlich etwas gebracht? Ich meine, jetzt hast du ja keine Locken mehr.«
    »Nein, es war ein fürchterlicher Fehlschlag. Weil Haare abgeschnitten werden mussten, kringelten sie sich noch viel mehr. Es war grauenhaft. Brandon sagte, man müsse mir nur noch ein Kleid anziehen und alle bedeutenden Familien mit männlichem Nachwuchs würden umgehend versuchen, mich als Schwiegertochter zu sichern, weil ich viel niedlicher aussähe als alle Mädchen, die auf dem Markt wären. Die Locken sind auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Danach hatte ich längere Zeit gar keine Haare, dann wuchsen wieder welche: dunkler und glatter!«
    Unwillkürlich musste sie schlucken, erklärte aber, so munter wie nur irgend möglich: »Da hast du ja Glück gehabt, wenn sie dich doch so sehr störten.«
    Er war selbst überrascht, dass es ihm nichts ausmachte, mit ihr darüber zu reden. Immer noch mit einem Lächeln im Gesicht nickte er. »Allerdings! Kannst du dir vorstellen, wie ich mit hellblonden Locken aussehen würde?«
    »Nein!« Sie wollte es nicht, musste jetzt aber doch die Augen schließen, um ihre Tränen zu unterdrücken, beugte sich hinunter und küsste ihn zärtlich.
    »Nicht weinen, Caitlin«, bat er leise, kaum dass ihre Lippen sich voneinander gelöst hatten. »Das ist doch alles ewig her.«
    Sie sah in seine liebevoll lächelnden Augen, verdammte seine ganze hartherzige Familie innerhalb eines einzigen Wimpernschlages, schluckte all ihre Wut und ihr Mitgefühl hinunter, fuhr mit den Fingern durch seine Haare und erwiderte: »So ist es. Sag es noch einmal, Mann meines Herzens!«
    Er zog sie an sich und lachte auf. »Es ist alles lange her, Frau meines Herzens.«
    »Wir werden diese bösen Geister besiegen?«
    »Ich werde es versuchen.«
    Sie stemmte sich hoch, und sowohl ihre Miene als auch ihre Stimme wurden streng. »O nein, mein Lieber, nicht so! Werden wir die Geister

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