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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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übermenschliche Geduld für Kunden hernahm, aber jetzt, wo sie seit einigen Monaten ein Paar waren, wusste er es. Allerdings hatte Lea ihm noch immer nicht ihre Wohnung gezeigt, nie auch nur ein Taxi mit ihm geteilt oder ihm verraten, wo sie wohnte.
    »Du weißt doch, wie das hier in der Stadt ist«, sagte sie und zog sich auf ein Klischee zurück, als er sie danach fragte. »Wohnungen machen Leute.«
    Trotzdem. Er kannte mehr als nur die Lea, die für ihn arbeitete; er kannte noch eine andere Lea. Er kannte zwei Leas. Nein, eigentlich drei. Es gab die Lea, die so kurze Kleider trug, dass sie in Tanzclubs als Hemden durchgingen, und die ihn durch die ganze Stadt von einem Club zum nächsten schleifte: dem Cat & Dog, dem Oman 17, die ganzen großen Namen. Das war die Lea, die stundenlang tanzen konnte, die jeder an der Bar kannte und mochte, und die angefeuert wurde, wenn sie ihren fünften, sechsten Drink leerte. Die Lea, die praktisch jede Nacht zu ihm ins Bett kam, kicherte, lachte, sich wie ein albernes Kind aufführte und gleichzeitig voll und ganz Frau war.
    Dann gab es die andere Lea, deren Weinen ihn kurz vor der Morgendämmerung weckte, die er in die Arme schloss, wenn sie aus dem Bett fliehen wollte, die kaum ein Wort herausbrachte.
    Die dritte Lea, immer noch seine Lieblings-Lea, war die Lea aus dem Sandwichladen, die Starangestellte. Sie benahm sich kein bisschen anders als am ersten Tag. Aber er hatte sich verändert. Wie hätte er auch derselbe bleiben sollen?
    »Wie wär’s, wenn du deinen Arsch hier rausschaffst?«, schrie Ron die Mittelschülerin an. »Du bist nicht witzig. Oder süß. Mit der Spange siehst du aus wie ein Rottweiler.«
    »Das wirst du mir büßen«, sagte das Mädchen, warf sich den Manga-Rucksack auf den Rücken und ging.
    »Das war nicht nötig«, sagte Lea. »Ich hatte alles unter Kontrolle.« Sie drehte sich um und zog gegrillten Auberginen die Haut ab.
    Ron versuchte, sich zu beruhigen. Tel Aviver kotzten ihn an. Nirgends sonst wäre man mit so einem Scheiß durchgekommen, aber hier war jeder Freiwild. Nicht mal mit einer Schnapsidee kam man durch. Als Domino’s damit warb, in der gesamten Stadt in maximal einer halben Stunde zu liefern, sonst ginge die Pizza aufs Haus, warteten Hunderte von Leuten auf die Zeitumstellung und stauchten den Lieferjungen dann zusammen, er wäre eine Stunde zu spät dran, und sie wollten ihre Gratispizza. Ron hatte manchmal sogar den Verdacht, die Städter würden ihn bestehlen, wenn Lea und Vera gerade wegsahen. Die Dinge – Küchengeräte, Tassen – verschwanden, und an diesem Tag konnte er nicht mal den Butanbrenner finden.
    Er sah zu, wie Lea Walnüsse knackte, indem sie sie über das hölzerne Schneidebrett rollte. Ihr Pferdeschwanz schwang hin und her. Irgendwas war anders. Er sah zu, als sie sich unter die Spüle bückte, um die Schalen in den Müll zu werfen. Sie bewegte sich langsam und methodisch, ging in die Knie, hielt den Rücken aber durchgedrückt.
    »Tut dir der Rücken weh?«
    »Hab’ ich nicht grade gesagt, ich hab’ alles unter Kontrolle?«, entgegnete Lea. Sie richtete sich wieder auf, griff nach einem Buttermesser und sah Ron genervt an.
    »Entschuldige. Tut mir leid. Ich möchte nur nicht, dass du dir wehtust«, sagte Ron.
    » Du tust dir noch weh, wenn du nicht bald die Klappe hältst«, sagte Lea und deutete mit dem Buttermesser in seine Richtung. Dann kam sie einen Schritt auf ihn zu, legte das Messer auf die Theke und ergriff seine Hand. Ihre Hand war weich, und als sie lächelte, vergaß Ron seinen Ärger, vergaß seine Frage, vergaß, dass es auf der Welt überhaupt Fragen geben konnte.

    »Ich mag meinen Job sehr.« Plötzlich sprach sie, als er sie zu nachtschlafender Zeit in den Armen hielt. »Ich mag es, wenn ich Menschen genau das geben kann, was sie haben wollen. An den Checkpoints bekommst du immer alle möglichen fantastischen Geschichten zu hören – jeder hat irgendwo eine Mutter, die nur noch einen Tag zu leben hat, oder ein Kind heiratet, das den Angriff eines Wolfsrudels überlebt hat –, und du kannst immer nur sagen, dir sind die Hände gebunden, weil ihre Genehmigungen die falsche Farbe haben oder weil sie fünf Minuten zu spät dran sind.«
    Ron wusste nicht, was er sagen sollte. Er drückte ihr einen Kuss auf die Schulter.
    »Danke, dass du mir den Job gegeben hast«, sagte sie.
    »Wolltest du je ein Auge zudrücken und jemanden durchlassen, den du eigentlich nicht durchlassen durftest?«,

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