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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Glieder rieben sich an seinem Bauch und seinem Hintern; er fragte sich, ob die Stadt vielleicht die unausgegorene Idee von irgendwem war, so wie der Sandwichladen seine Idee war, und dachte, dass nichts so war, wie es sein sollte, dass die Stadt vielleicht nie so richtig auf dieser Erde hatte existieren sollen, eine bizarre kosmische Panne –
    Lea legte ihm die Arme um den Hals und passte auf, dabei nichts von ihrem Wodka Red Bull zu verschütten.
    »Das ist dein fünfter Drink!«, brüllte er ihr ins Ohr. Er selbst war auch betrunken, erinnerte er sich, obwohl er nur drei Drinks gehabt hatte.
    Als sie ihm die Zunge in den Mund steckte, versuchte er immer noch, diesen lästigen Gedanken wegzudrängen, dass irgendwas nicht stimmte; er drängte und drängte. Aber dann drängte er sich näher an Leas Körper und sagte sich, er würde zu viel nachdenken, und vielleicht hätte es auch Nachteile, die ganze Zeit so pragmatisch drauf zu sein.
    Auf der Tanzfläche schob Lea ihm die Finger unters Hemd. Ihre Fingernägel kratzten ihn.
    »Ich bin nicht das gute Mädchen, für das du mich hältst!«, schrie sie ihm ins Ohr. »Ich hab’ ein paar ziemlich böse Sachen angestellt.« Ihr Schreien hatte genau die richtige Lautstärke – gerade laut genug, dass er jedes einzelne Wort mitbekam.
    »Meinetwegen, ist mir alles egal«, schrie er zurück. Er umarmte sie, wie man ein Kind umarmt. Sie war das Beste, ein brillantes Konzept, die einzige gute Idee, die je irgendwem gekommen war, das Einzige, was ganz genau passte, entschied sein Hirn.

    Genau genommen wusste er es schon vor seinem Hirn. Dass sie recht hatte. In den ersten drei Monaten seiner Existenz blutete die »Wir richten nicht«-Sandwichbar ihn aus wie einen geschlachteten Esel. Er brachte ähnlich wenig ein wie das Japanica – damals war es der größte Fehler der Inhaber gewesen, so viel Miete für einen Stand zu zahlen, der nur nachts Kunden anzog. Kein Israeli wollte überteuertes Sushi zum Frühstück, und kaum ein Israeli will es zum Mittag, wenn der Fisch in der Sonne zu stinken anfängt. In Israel ist überteuertes Sushi ein Gericht, das man bestellt, wenn man in der Dunkelheit nach Hause oder in den nächsten Club torkelt, wenn einem alles egal ist, wenn man dem Mädchen, das man unterwegs aufgegabelt hat, einen Gefallen tun und das alles hinter sich bringen will: diese dämliche Nacht und das dämliche Leben.
    Rons Sandwichladen war vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet, und in den ersten Monaten stand er selbst vierzehn Stunden am Tag hinter der Theke. Er stellte zwei seiner Cousinen ein, die noch Teenager waren, um die Bestellungen entgegenzunehmen, und einen illegalen Arbeiter aus dem Sudan, um sie zuzubereiten (und zum Putzen), aber im August war ihm klar, dass er dringend neue Angestellte brauchte, weil seine Cousinen wieder zur Schule mussten. Es war schon herzergreifend, wie viele Menschen in der Stadt händeringend nach Jobs suchten, egal was. Sein Telefon hörte gar nicht mehr auf zu klingeln. Fotomodelle, Doktoranden, Schauspielerinnen. Auf ein Dutzend Vorstellungsgespräche am Telefon kam ein Mädchen, das er eine Probeschicht im Laden absolvieren ließ. Er wusste, dass eine brillante Idee allein nicht reichte, sondern dass er auch das richtige Personal finden musste, wenn der Laden laufen sollte. Ein Mädchen, das nicht richtete. Ein Mädchen, von dem man ein Sandwich kaufen wollte. Lea.
    Im Bewerbungsgespräch hatte er alle Kandidaten gebeten, ihre jeweiligen Traumsandwichs zu beschreiben. Er hatte dazugesagt, sie sollten sich nichts ausdenken, bloß weil es originell wäre, sondern ehrlich sein, die Wahrheit über sich sagen.
    Lea sagte, sie würde es nie wagen, ihm die Wahrheit über ihr Sandwich oder sich selbst zu sagen. Sie hätte Angst, es könnte ihm zu viel sein. Es war die überheblichste Antwort, die er auf diese Frage je erhielt, es war aber auch die, die er am ehesten glaubte.
    Er stellte sie nicht ein, weil er mit ihr schlafen wollte. Er stellte sie ein, weil sie gut fürs Geschäft war, fertig. Dass er ihr auf der Stelle verfallen war, als er sie das erste Mal sah, war reiner Zufall. Okay, es war kein Zufall – was konnte sich ein Kunde denn mehr wünschen, als dass ihm sein größter Wunsch von einem Mädchen erfüllt wurde, das man einfach lieben musste?

    Sie schnitt ihm den Weg zu seiner Wohnung ab, nachdem er den Haustürschlüssel umgedreht hatte. Sie ging hinein, als er noch den Schlüssel in die Tasche zurücksteckte

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