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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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fragte er nach ein paar schweigsamen Minuten.
    »Ja, manchmal hab’ ich da kurz dran gedacht. Dann hat ein Mann einen von uns durchs Autofenster erstochen. Wir sollten nie so nah an die Autos rangehen, aber dieser eine Soldat hat das immer gemacht – ich nehm’ mal an, der Fahrer tat so, als hätte er auch eine Geschichte. Und als ich dann Offizierin war, konnte ich keine Leute mehr einfach so durchlassen, weil ich eben Offizierin war.«
    Lea war viel kleiner als Ron; wenn er sie im Arm hatte, fühlte sich ihr Körper noch kleiner an. Wenn sie zu viel getrunken hatte, trug er sie manchmal die Treppe hoch. Und dabei wusste er, dass sie Dinge getan hatte, die er nicht getan hatte; vielleicht hätte er sie tun können, aber es war eben nie dazu gekommen. Er hatte in einem Büro gesessen und Arabisch transkribiert. Das machte es leichter und schwerer, diese nackte Frau in den Armen zu halten. Leichter, weil er wusste, dass sie stärker war und ihn nicht brauchte, ihn aber wollte. Schwerer, weil er sich immer fragte, ob seine Arme eigentlich stark genug waren, um sie zu halten. »Das muss schrecklich gewesen sein«, sagte er schließlich. Ihm fehlten immer noch die Worte, aber irgendwas musste er ja sagen, und wenn er sie festhielt, verstand Lea das hoffentlich.
    »Ja, das war es«, sagte sie. »Obwohl ich Yaniv nicht ausstehen konnte. Den Jungen, der erstochen wurde. Er hatte so buschig stachlige Augenbrauen, wie pelzige Pfeile.«
    »Und deswegen konntest du ihn nicht ausstehen?«, fragte Ron.
    »Sie sahen aus wie überraschte Würmer.«
    »Es ist okay, wenn man jemanden nicht ausstehen kann. Du konntest das ja nicht wissen.«
    »Kann sein.«

    An dem Abend, an dem das Mädchen Haschkekse haben wollte, kam noch so ein Scherzkeks. Er war betrunken, Russe, fett.
    »Ich will Babyfleisch in Challabrot«, verlangte er.
    »Babylamm? Babykuh?«, fragte Lea.
    »Baby baby, du Schlampe«, sagte er. »Das will ich.«
    Lea erstarrte und sah ihn an.
    »Ich seh’s dir doch an, dass du das machen würdest«, sagte der Mann. Um die Pupillen herum hatten seine Augen einen kranken Gelbstich. »Auf dem Schild steht doch ›was immer Sie wollen‹, oder?«, sagte er. »Ich seh’s dir doch an, dass du das machen würdest.«
    Lea schaute auf ihre Flipflops. Dann schaute sie hoch. Sie schaute nach links und rechts. Ron hatte sie noch nie in solcher Angst gesehen. Es war, als würde der Mann ihr eine Waffe an die Schläfen drücken, als wäre da draußen die ganze Welt und jagte sie.
    Sie rannte aus dem Laden.
    Ron hörte ihre Flipflops in gleichmäßigem Tempo aufs Pflaster flappen. »Warte!«, rief er.
    Er nahm einen 500-Schekel-Schein aus der Kasse und gab ihn dem alten Mann, der immer ein Sandwich mit roter und gelber Paprika bestellte.
    »Wenn Sie den Laden im Auge behalten, bis Vera zur Nachtschicht kommt, bekommen Sie noch mehr«, murmelte er.
    Eine Reaktion des Alten wartete er nicht ab, sondern lief los.
    Sie war schnell, er aber auch. Er sah gerade noch, wie sie in ein Taxi sprang, und zum Glück fand er auch eins. Lea sah sich nicht um. Er wollte dem Fahrer zurufen »Folgen Sie dem Taxi!«, kam sich aber albern vor. Er wusste nicht mal, ob so was im richtigen Leben überhaupt erlaubt war. Stattdessen sagte er dem Fahrer, er würde ihm Straße für Straße Anweisungen geben. Er sagte, er erinnere sich an die gesuchte Straße; er wüsste nur nicht mehr, wie sie hieße.

    Die Straße war teuer. Er sah sie in der Nähe vom Rabin Square aussteigen und in die Zeitlin Street gehen. Er gab dem Fahrer einen Fünfziger, stieg aus, ohne das Wechselgeld abzuwarten, und ging langsam hinter ihr her. Er folgte ihr ins Haus und wartete im Treppenhaus, bis er hörte, wie sich eine Tür im zweiten Stock schloss. Er fragte sich, wie sie reagieren würde und warum er nicht einfach ihren Namen rief. Er merkte, dass er neugierig auf ihre Wohnung war, und auch wenn er sich freute, drei oder sogar vier Leas zu kennen, so wäre er doch mit nur einer glücklich – mit ihr.
    Er wartete fünf Minuten. Pustete den Staub von den Plastikblumen im Korridor.
    Er klopfte.
    Barfuß öffnete sie die Tür, trug nichts als ein langes weißes Hemd.
    »Du hättest mir nicht folgen dürfen«, sagte sie.
    »Ich musste wissen, wie zweieinhalb Zimmer aussehen«, versuchte er zu scherzen.
    Sie lächelte nicht. Sie sah müde aus, sehr viel müder, als er sie je gesehen hatte.
    »Ich komm’ jetzt rein«, sagte er.
    Wortlos trat sie beiseite und ließ ihn

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