Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Welche Drogen sind die besten, um weitermachen zu können?«, fragte Avishag.
»Also so wie du manchmal redest …«, sagte Lea, »ich schwör’ dir, das hat mir gefehlt.«
»Also, ich wollte viele Drogen nehmen, aber irgendwie hat das nie geklappt. Ich hab’ einmal gekifft und hatte das Gefühl, das Fenster zieht mich an wie ein Magnet. Also hab’ ich dann im Wald gekifft, aber da hatte ich das Gefühl, ich müsste mir ein Fenster suchen, das mich dann wie ein Magnet anziehen könnte. Später hab’ ich dann auf Goa mal aus Versehen Ecstasy geworfen und bin so paranoid geworden, dass ich mir gesagt habe, dass Drogen anscheinend nicht mein Ding sind«, sagte Yael.
»Paranoid? Aber Ecstasy ist doch die Droge der Liebe und des Vertrauens!« Lea lachte.
»Vielleicht solltest du mal zum Psychiater gehen. Vielleicht ist mit dir chemisch was nicht in Ordnung«, lachte Avishag.
»Das hat sich krass echt angefühlt. Ein persischer Junge mit langen Wimpern kam auf der Straße auf mich zugelaufen. Er schrie seinen Namen, der irgendwie mit J anfing, und obwohl ich überhaupt kein Farsi kann, wusste ich, dass es ›die Welt‹ bedeutete. Er roch nach Moos und hatte eine Bachforelle in der Hand, und ich dachte, die käme aus den Wassern zu Babel, dabei wusste ich, dass das nicht sein konnte, denn da schwimmen keine Bachforellen, und außerdem kam er ja aus Persien«, sagte Yael.
Die Hitze und vielleicht auch der Durst hatten den Mädchen oder jedenfalls Yael zugesetzt. An den ersten beiden Tagen, an denen sie in der Falle saßen, verweigerte Yael ihnen die Cola.
»Das muss ein übler Trip gewesen sein«, sagte Avishag. »Das muss eine andere Droge gewesen sein. Mit Ecstasy kriegst du keine üblen Trips. Ich hab’ mal ’ne Broschüre über Drogen gelesen«, fuhr sie fort.
»Aber die Sache ist, ich war nicht die Einzige, die den Jungen sah. Zwei von den Leuten, mit denen ich abhing, konnten ihn auch sehen. Sie zeigten auf ihn und versteckten sich hinter mir, weil sie Angst hatten, der Fisch wäre giftig und würde uns alle umbringen, wenn er uns berührte. Ich hatte auch Angst, wusste aber, dass ich keine haben musste. Der Junge sagte, er wollte zu seinem Vater, aber er wäre nicht sauer – er machte sich eher unseretwegen Sorgen, weil wir so am Feiern waren.«
»Das ist eine sehr schräge Geschichte«, sagte Lea.
»Es gibt viel schrägere Sachen«, sagte Yael.
Und dann machte ein anderer Junge die Tür auf, nicht Yoav. Er war achtzehn.
Am Ende des zweiten Tages hatten die Jungen eine Routine entwickelt. Sie kannten jedes Mädchen besser, als die sich selbst kannte. Als Yael an dem Nachmittag zurückkam, war sie stiller, und dadurch konnten die beiden anderen so viel reden wie noch nie zuvor.
Avishag erzählte eine Geschichte von einem Fünftklässler in ihrer äthiopischen Pfadfindergruppe, der immerzu abgetrennte Zehen malte. Die abgetrennten Zehen hatten Arbeit, heirateten und gingen zur Armee, waren aber trotzdem nur blutige Zehen. Bei der Schulbehörde war man bestürzt, und es gab eine Versammlung, bei der die Eltern einstimmig beschlossen, er müsse die Schule verlassen, weil er sich oder anderen Schaden zufügen könne. Avishag setzte sich für ihn ein, konnte aber nichts bewirken. Vielleicht hatte eine der Mütter sie deswegen verfolgt und das mit dem Psychiater herausgefunden.
Lea bat Avishag um noch eine Geschichte, weil sie sehen wollte, ob eine weitere Geschichte ihr zeigen würde, dass die erste nicht erinnerungswürdig sei, falls sie es mal bedauern sollte, dass sie nicht die Energie aufgebracht hatte, sie aufzuschreiben.
Avishag sagte, da Hühner sehr viel Kalzium bräuchten, um Eier produzieren zu können, hätte ihr Onkel ihr aufgetragen, sie solle die leeren Eierschalen mit einem Stein zermahlen und unter das Hühnerfutter mischen. Einmal wollte sie aber ausprobieren, ob die Hühner die Schalen nicht auch so fräßen. Wenn sie auf ganze Salatköpfe einpicken konnten, war doch nicht einzusehen, dass sie die Hühnerschalen als Mehl brauchten. Was Avishag aber nicht gewusst hatte, war, dass Hühner, die etwas Eiförmiges fressen, zu Eierfressern werden. Deswegen wurden die Schalen gemahlen.
»Und so eine Eierfresserin frisst die Eier anderer Hühner?«, fragte Lea.
»Am Anfang«, sagte Avishag. »Am Anfang frisst sie nur die Eier anderer Hühner.«
Am Mittag des dritten Tages war die Colaflasche leer. Ein paar Pizzaränder waren noch übrig. Lea hatte die meiste Cola getrunken – ihr
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