Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
der Betonabsperrung und ging wild mit den Armen fuchtelnd weiter.
Nachts hörte ich die äthiopischen und marokkanischen Mädchen, die sich unter dem Holzvordach vor unserem Container unterhielten und rauchten. Sie diskutierten, ob es besser wäre, einer Freundin zu erzählen, wenn schlecht über sie geredet wurde, oder nicht. Sie waren dumm. Ihre Probleme waren alle oberflächlich. Alle Wachleute an den Checkpoints waren dumm. Die ganze Einheit war für dumme arme Leute konzipiert, für Leute, denen das Militär allenfalls zutraute, Ausweise zu kontrollieren. Unsere Einsatzorte waren genauso gefährlich wie die der kämpfenden Infanterieeinheiten, aber wenn ein Soldat der Infanterie mit seinem grünen, roten oder braunen Barett unseren Checkpoint passierte, zeigte er auf uns und lachte. Er war ein Held, und wir waren keine Helden; wir waren nur die Polizei.
Ich vergrub mich auf dem Feldbett unter der Wolldecke und dachte an Fadi. Als ich nach der Grundausbildung hier stationiert wurde, hatte ich andere Einschlafhilfen. Am Anfang dachte ich an meinen Freund und wie es gewesen war, mit ihm zu schlafen – er war der Vater von einem der Mädchen aus meiner Klasse, die ich gehasst hatte – an all die besten Male und an die Male, die nie so wie in meiner Fantasie stattgefunden hatten, die ich mir jetzt aber ausmalen konnte. In meinen Träumen war mein Freund viel stärker, als ich ihn im wahren Leben je sein ließ, und es ging immer damit los, dass er mich plötzlich gegen eine Wand drückte. In der Realität sagte mein Freund, ich solle nicht immer weinen, wenn es vorbei war, denn sonst würde er sich von mir trennen, weil ihn das wahnsinnig machte. Außerdem hätte er Angst, irgendwann nicht mehr unterscheiden zu können, ob ich traurig wäre oder Sex wollte, wenn ich das weiter machte. Schließlich hat er sich dann von mir getrennt, und er hatte auch recht damit. Ich musste immer weinen, wenn ich an den Sex mit ihm dachte, also hörte ich auf, nachts auf meinem Feldbett daran zu denken, ich weinte tagsüber schon genug.
Eine Woche lang versuchte ich einzuschlafen, indem ich an Dawson’s Creek und Ally McBeal dachte. Serien, die beliebt waren, bevor ich einen Freund hatte. Ich konnte mich an jede Folge erinnern. Ich erinnerte mich an die Pointen und daran, wie das Licht aufs Wasser fiel. Aber alles, was mir damals so wunderbar vorkam und was ich tun wollte, würde ich in der Serie mitspielen, die vielen Figuren, die ich glaubte, spielen zu können oder kennenzulernen – das alles hatte seinen Reiz verloren. Ich wusste, dass ich diese Serien nie wieder mögen würde.
Dann dachte ich an die Spiele, die ich immer mit Yael gespielt hatte. Als wir so taten, als wären wir Reporter, als wir so taten, als wäre der Fahrstuhl ein Raumschiff, an die Male, wo Avishag mit uns Knick spielen durfte. An die ganzen Geschichten, die wir erfunden hatten. Aber nach einer Weile wurde mir klar, dass ich mir den Großteil dieser Erinnerungen nur ausdachte. Ich starrte die kugelsichere Weste auf dem Boden an und merkte, dass ich mich nicht wirklich daran erinnerte, wie es sich anfühlte, Spiele zu spielen. Und ich wusste, würde ich noch mehr Erinnerungen an Spiele erfinden, würden mir nur all die Erinnerungen einfallen, die ich verloren hatte, also hörte ich auf damit.
Und das zeigt, wie klein mein Leben war: Nach den Spielen als dritte Einschlafhilfe gab es nichts mehr, woran ich hätte denken können.
Wenn ich jetzt abends an Fadi dachte, wurde er zu meiner neuen Einschlafhilfe. Ich stellte mir vor, wie er mit seiner Frau Nur sprach, während die beiden in ihrem sonnigen Vorbau Wasserpfeife mit Apfeltabak rauchten. Ich stellte mir vor, dass Nur an diesem Abend ein Machtwort sprechen würde. An diesem besonderen Abend, den ich mir vorstellte, einem Abend, der in der Vergangenheit lag, bat Nur ihren Mann, sich in Israel eine Arbeit auf dem Bau zu suchen. Fadi wollte nicht gehen. Er wollte kein Geld von den Israelis. Er wollte seine Träume nicht hergeben, um dann stundenlang anzustehen und sich von einem Mädchen anblaffen zu lassen, das halb so alt war wie er und ihm Anweisungen gab. Er wollte nicht gehen. Er würde nicht gehen.
»Ich gehe nicht«, sagte Fadi.
»Aber wir haben fünf Kinder«, sagte Nur. »Wir brauchen Geld, damit Nadia studieren kann. Wir brauchen besseres Milchpulver für das Baby.«
»Ich gehe nicht.«
»Aber du bist schon seit Monaten arbeitslos. In Hebron findest du keinen Job.«
»Ich gehe
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