Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
Vom Netzwerk:
hassen, das war mir klar, aber ich überlegte wirklich, ihn meinem Vorgesetzten zu melden, der zwischen den Absperrungen und den Autos hin und her lief und gesehen haben musste, wie Yaniv den Kopf zu Fenstern reinsteckte, plauderte, Babys küsste und Feigen und Olivenöl in alten Coca-Cola-Flaschen annahm. Mein Vorgesetzter sah das alles, aber wenn ich es ihm meldete, musste er etwas unternehmen; ihm blieb nichts anderes übrig. Wenn ich Offizier wäre, würde ich nie zulassen, dass einer meiner Soldaten die Vorschriften derart missachtete. Laut Vorschrift, das hatten wir in der Grundausbildung gelernt, mussten wir das Gewehr immer vor uns halten und auf die zu kontrollierenden Palästinenser richten. Die Palästinenser hatten Ausweise und Dokumente auf die Motorhaube zu legen und dann das Fenster zu schließen, wenn die Soldaten herantraten, um alles zu kontrollieren. Keiner hielt sich daran, aber zumindest küssten die anderen nicht irgendwelche Babys oder erzählten Lügengeschichten von wegen Rückenschmerzen und so …
    Vielleicht hätte ich ihn wirklich gemeldet, aber Fadi war wieder da. Ich sah, wie er in der Schlange immer weiter vorrückte, und ich wusste, er hoffte, dass nicht ich ihn an die Betonabsperrung rufen würde. Ich beobachtete, wie er den Blick senkte, starr nach unten schaute und sich die Nase kratzte, im Sand scharrte und hoffte, dass nicht ich ihn kontrollieren würde. Aber ich hatte auch die anderen Soldaten im Blick und musterte lange scharf den Ausweis des Mannes, den ich gerade kontrollierte, um das Prozedere rauszuzögern, bis ich sah, dass Fadi als Nächster dran war und alle anderen Soldaten noch Ausweise kontrollierten, und dann rief ich ihn auf.
    Er schaute mir fest in die Augen, als würde er mich gar nicht kennen oder als würde er mir den Tod wünschen, aber ich wusste, dass ich ihn kannte und alles wusste, was bei ihm passiert war.
    Und zwar deshalb: Er hatte keinen Plastikbeutel. Was ich mir ausgemalt hatte, stimmte. Seine Frau hatte ihm am Vorabend keine Pitas gemacht. Er trug dasselbe Button-Down-Shirt und man sah ihm an, dass er unruhig geschlafen hatte. Er roch verschwitzt.
    Ich glaubte nicht, dass alles, was ich mir vorgestellt hatte, auch wirklich so passiert war; ich dachte nur, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich daran glaubte, dass es so gewesen war, und ich weinte nicht, und ich wollte auch weiterhin nicht mehr so müde sein.
    Nachdem ich Fadi den Ausweis und die Dokumente zurückgegeben hatte, ging er weg und ich sah ihm nach. Ein Bauunternehmer mit Zigarette im Mund legte Fadi eine Hand auf die Schulter, als der an ihn herantrat, und ich konnte sehen, wie Fadi verkrampfte, wie viel an dieser einen Berührung falsch war, wie sehr er sich wünschte, dem Mann eine reinzuhauen oder wegzulaufen oder ein neues Leben anzufangen, aber er konnte nicht.
    In dieser Nacht würde ich ganz sicher mit der Vorstellung von einem Fadi einschlafen, der nach Hause kam und seine Frau Nur schlug – nur ein einziger Kinnhaken und dann Nurs Stille.

    In den Wochen vor meiner Einberufung trabte ich meiner Mutter hinterher, während sie in diversen Outletstores, die von unserem Dorf aus mehrere Stunden nördlich lagen, mit einer von der Armee zugesandten Packliste in der Hand Preise verglich: Sieben Paar olivgrüne Socken. Sonnencreme. Zahnpasta. Ausreichend Damenbinden für zwei Monate. Mückenspray. Zwanzig robuste Gummiringe, mit denen man die hochgekrempelten Hosenbeine befestigen konnte.
    Auf meinem großen Rucksack, den ich wie alle Schulabgänger von unserer Schule geschenkt bekommen hatte, stand der Aufdruck: »Geht in Frieden, liebe Absolventen. Wir sind für euch da und werden euch immer lieben.« Der Rucksack war gepackt und fertig für den nächsten Tag.
    Meine Mutter und ich fuhren mit dem Bus nach Haifa zur Sammelstelle, wo schon ein anderer Bus bereitstand und alle Kids aus dem Norden nach Tel Aviv zur zentralen Kleider- und Ausrüstungskammer brachte, wo man uns die Militärausrüstung und unsere Aufgaben für die nächsten Jahre zuteilte.
    Übertrieben geschminkte Mädchen hielten Schilder mit gemalten Herzen und Küssen hoch. Sie weinten und umarmten sich, und als ihre Freundin in den Bus stieg, schrien sie ihr nach: »Lies unsere Briefe erst, wenn der Bus losgefahren ist! Wir lieben dich, Süße!«
    Ein Junge versuchte, sich von seiner Freundin zu befreien. Sie war verheult und ihr lief die Nase, aber sie küsste ihn immer weiter, auch als er einsteigen musste. Ein

Weitere Kostenlose Bücher