Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Tag zu sehen. Und wir sie.
Ich musste außerdem abklären, dass sie keine Waffen bei sich trugen und auch nicht vorhatten, sich in die Luft zu jagen. Wir hatten den Regierungsauftrag, Gefahren zu erkennen, aber mir fiel nur auf, was mir eben auffiel. Das lag daran, dass ich nicht begreifen konnte, dass ich eine Soldatin war. Ich dachte, ich wäre immer noch ein Mensch.
Fadi, der mir an diesem Tag zum ersten Mal auffiel, stand in der Arbeiterschlange fast ganz vorn. Obwohl sie alle zu weit weg standen, um Gesichter zu haben, und ich ihn nicht erkannte, merkte ich, dass er mich ansah, als hätte ich eine Entscheidung getroffen. Eine grauenhafte Entscheidung. Etwas in der Zukunft, das ich noch nicht getan hatte, das aber trotzdem nicht mehr rückgängig zu machen war. Das geschwungene Kinn war hochgestreckt, als sollte es für immer so verharren, und genau auf mich gerichtet, als wäre es ein Auge. Aus der Entfernung dürfte ich für ihn wohl auch kein Gesicht gehabt haben, aber ich schwöre, ich wusste, dass er mich da schon ausgesucht hatte.
Auf der Straße zum Checkpoint bildete sich eine lange Autoschlange.
Es war nicht meine Entscheidung, hier zu dienen und das blaue Barett zu tragen. Ich wollte das hier nicht. Ich hatte Nein gesagt.
Bevor ich zur Armee kam, wusste ich das nicht, aber grundsätzlich gab es drei verschiedene Arten von Checkpoints, und meiner gehörte zur blödesten. Manche Checkpoints wurden mitten in einem palästinensischen Dorf oder an einer Hauptstraße wie der Route 433 errichtet, die zwei palästinensische Ortschaften miteinander verband, da kontrollierten die Soldaten die Palästinenser also auf ihrem eigenen Grund und Boden. Klingt zwar verrückt, aber an diesen Checkpoints wurden die meisten Waffen und Bomben gefunden. Andere Soldaten überprüften die Aufenthaltsgenehmigungen für notwendige medizinische Behandlungen von Leuten, die diese nur in unseren Krankenhäusern bekommen konnten. Selbst wenn ein Krankenwagen heulend angebraust kam und auch der Kranke heulte, kontrollierten sie die Aufenthaltsgenehmigung – wegen der einen Schwangeren, damals, als ich in der vierten Klasse war. Die mit dem neun Monate alten Fötus im Bauch und der Bombe mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern unter der Transportliege. Diese zwei Arten von Checkpoints zeigten, dass unser Leben nicht zum Schleuderpreis zu haben war, aber mein Checkpoint zeigte nur, dass wir für unsere Häuser nur Schleuderpreise zahlen wollten, und dass die Wut der Palästinenser käuflich war, genau die Wut, die manchmal so tief saß, dass sie uns umbrachte.
Es kam fast jeden Tag vor, dass Arbeiter aus der Schlange nicht durchgelassen wurden und die israelischen Bauunternehmer, die am anderen Ende des Checkpoints auf sie warteten, uns beschimpften. Auch die palästinensischen Arbeiter beschimpften uns. Ich wurde meist als russische Hure bezeichnet, bis auf das eine Mal, als mich einer als deutsche Schlampe bezeichnete. Da musste ich grinsen, aber nur kurz.
In der Woche vor dem Tag, an dem ich Fadi das erste Mal sah, folgte mir einer der israelischen Bauunternehmer hinter eine Sanddüne, wo ich gerade gepinkelt hatte, und fragte mich, warum nur fünf Soldaten die Fußgänger kontrollieren würden, aber zehn Soldaten die Autos. Er sagte, jedes Mal, wenn einer von uns pinkeln ginge, würde es langsamer vorangehen und das wäre kein professioneller Ablauf, und ein Unternehmer wie er hätte es nicht nötig, von der Gnade einer Teenagerblase abhängig zu sein. Er hatte mich nicht mit runtergelassener Hose erwischt, aber die versickerte Flüssigkeit lag zwischen uns. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Ich arbeite nicht für Sie«, sagte ich dem Bauunternehmer. Ich dachte, er würde mich beschimpfen, aber stattdessen stellte er eine andere Frage, die schlimmer war.
»Für wen arbeitest du denn dann?«
Als ich schweigend dastand und zu Boden schaute, schwirrten Fruchtfliegen über dem nassen Fleck.
Bald war es so weit und wir mussten die Palästinenser nach Israel reinlassen. Ich hörte Hebrons Muezzin über den Lautsprecher zum Gebet rufen und schaute auf die ersten Sonnenstrahlen, die wie Tintenkleckse zerliefen. Ich war so müde, dass ich mir in die Wange kneifen musste, um nicht im Stehen einzuschlafen.
Wenn ich so müde war, hasste ich so vieles und vor allem mich selbst. Ich musste sauer aufstoßen und roch, wie sich mein Mundgeruch mit dem Geruch der Zahnpasta auf meinen gelben Zähnen vermischte. Ich
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