Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
erleichtert er war, als er endlich doch gepinkelt hatte. Dafür, wie leer er sich hinterher fühlte. Als hätte er sein ganzes Wesen entleert, und alles, was er vorweisen konnte, war eine Pfütze Urin, eine Strohmatte als Bett und eine verschlossene Tür. Er wachte auf, weil ihm ein dreibeiniger Hund ins Gesicht pinkelte. Er hatte nur eine Stunde geschlafen, aber er musste zum Checkpoint laufen, und er lief, und im Laufen dachte er, dass er sich das Leben selbst versaut hatte, aber ich wusste, dass es eigentlich meine Schuld war, weil ich mir diese Sachen für ihn ausdachte, und ich hatte kurz ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so tief hatte sinken lassen, aber gleichzeitig halfen mir diese Fantasien, in kürzester Zeit einzuschlafen, und das war ein Segen. Das Wort »Segen« hatte ich noch nie benutzt, auch nicht in meinen Träumen. Leute wie Yaniv benutzten es ständig, und jetzt war es das erste und auch das einzige Wort, das mir in den Sinn kam.
Aber das alles – die Strohmatte, die verschlossene Tür, der Urin auf der Straße, der dreibeinige Hund – gab es sowieso nur in meinem Kopf und damit ich schlafen konnte, denn am nächsten Tag kam Fadi mit dem Auto zum Checkpoint.
Ich wartete auf ihn und wartete und wartete. Es war nach neun und bei jedem Arbeiter, der Fadi ähnlich sah, war ich aufgeregt, auch wenn er es dann doch nicht war. Obwohl es wahrscheinlich nicht stimmte, war ich überzeugt, dass Fadi in Richtung Checkpoint losgelaufen war, nachdem der dreibeinige Hund ihn mit seinem Pinkeln geweckt hatte, es sich dann aber anders überlegt haben musste und umgedreht war. Dass er beschlossen hatte, diesmal wirklich, und zwar ein für alle Mal, nicht zu gehen. Ich war unsicher, wo er hingegangen sein konnte, nachdem er umgedreht war, und ich war sicher, dass das allein daran lag, dass ich eingeschlafen war, bevor ich es mir hatte vorstellen können. Ich war so schnell eingeschlafen.
Ich war froh, dass ich schlafen konnte. Und ich war froh, als Fadi nicht auftauchte, weil das hieß, dass an meinen Gedanken etwas Gutes gewesen sein musste, was mir nicht bewusst gewesen war. Ich war so was von nicht müde, dass ich Zeit hatte zu hoffen, ich wäre ein besserer Mensch, als ich bis dahin geglaubt hatte. Ich fühlte mich ein wenig, als wäre ich nicht bei der Armee. Als wäre ich noch nicht bei der Armee. Ich sah Yaniv an und gab mir große Mühe, ihn nicht zu hassen. Ich sah von ihm nur den Körper, wie er auf dem Asphalt stand, sein Kopf war in einem Autofenster verschwunden, dessen Fahrer er kontrollierte. Ich rief mir sein Gesicht, das Gesicht, das ich nicht sehen konnte, vor Augen, und versuchte, ihn nicht zu hassen. Er hatte buschig stachlige Augenbrauen, wie pelzige Pfeile.
Dann hörte ich es. Den Schrei.
Als ich das Rot sah und wie Yaniv zurücktaumelte, begriff ich nicht, dass das an seinem Hals Blut war. Ich versuchte zu verstehen, was es war, aber ich begriff nicht, dass es Blut war. Später erinnerte ich mich, dass ich an der Art, wie er mit den Armen ruderte, als er ein paar Schritte zurücktaumelte, sehen konnte, dass er wusste, es war Blut. In diesem Augenblick gab es etwas, was er verstand und ich nicht.
Yaniv stürzte und blieb reglos liegen. Alle redeten durcheinander, aber ich verstand nicht, was sie sagten. Da waren die Stimmen der palästinensischen Bauarbeiter. Die Stimmen der israelischen Bauunternehmer. Die Stimmen der Soldaten. Verschiedene Stimmen, die aber alle dasselbe zu rufen schienen, Worte, die ich nicht zu fassen bekam. Ich blickte zu Boden und sah mein blaues Barett fallen, und keine Ahnung warum, aber ich versuchte es zu fassen und fror dann mitten in der Bewegung ein. In dieser Haltung verharrte ich wie ein Kind, das den Sturz von der Schaukel für immer verhindern will.
Ein Schuss war zu hören. Ich sah nicht, wer schoss und ob jemand getroffen wurde; ich hörte nur, wie der Knall durch den Sand und die Schlange entlang und vorbei an der Betonabsperrung immer lauter wurde, wo ich noch immer versuchte, den vermeintlichen Sturz irgendwie aufzuhalten.
Der Mann, der Yaniv niedergestochen hatte, war Fadi. Der auf Fadi abgegebene Schuss hatte ihn verfehlt, und obwohl er blasser aussah als sonst, als ihn der Offizier aus dem Auto zerrte, wusste ich, dass er es war, weil ich ihn so gut kannte. Drei Nächte, in denen ich sehr viel besser geschlafen hatte, war er mich besuchen gekommen.
Er sah mich nicht an, als sie ihn abführten, weder mit dem Kinn noch mit den Augen. Er
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