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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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einen weiteren Kelch entgegenzunehmen. Ich schweife ab.

    Mein Bruder Nico wandelt in den Fußstapfen meines Vaters, kann aber Gott sei Dank nicht mit dessen Bruchbilanz mithalten. Doch die Unfälle und Missgeschicke sind zum Teil schon recht unterhaltsam – jetzt, wo sie lang vorbei sind. Sie hatten jedoch zur Folge, dass mein Bruder Nico entweder gerade alles das machte, was mein Vater toll fand, oder wegen irgendeiner Verletzung bemuttert werden musste. Oder bevatert.
    Er und ich konnten einfach nicht so arg viel miteinander anfangen. Das mag auch am Altersunterschied von sechs Jahren gelegen haben, aber es waren eben auch und vor allem die anderes gelagerten Interessen.
    Die einzige Beschäftigung, bei der ich meinem kleinen Bruder im Urlaub irgendwie behilflich sein konnte, war, ihn am Strand einzugraben. Keine Sorge, nicht bis über den Kopf oder bis zum Hals mit Honig als Lockstoff für die Ameisen. Ich hatte ja nicht direkt was gegen ihn. Nein, Nico ließ sich sehr gerne bis zur Hüfte eingraben. Dann gaben wir ihm irgendwas Rundes als Lenkrad und zwei, drei andere Objekte, die er als Hebel verwenden konnte, und fertig war das Auto. So saß er dann stundenlang in der Sonne unter seinem Hütchen und fuhr in Gedanken schon einmal all die Straßen ab, die er später dann auch wirklich bereisen würde. Vielleicht ist das der Grund, warum er sich heute so gut auskennt.
    Bis heute erinnert sich mein Bruder nur daran, dass er mir beim Legospielen assistieren durfte, indem er die Teile suchte, die ich benötigte. Ansonsten war er damit beschäftigt, irgendwo runter- oder hineinzufallen oder kurz danach mit hochrotem Schädel die Nachbarschaft zusammenzubrüllen. Zumindest in meiner Wahrnehmung.

    Doch bei der Durchsicht der Fotos für dieses Buch fiel mir doch glatt noch eine Begebenheit ein, bei der ich zumindest beteiligt war. Ich hatte den ganzen Vormittag damit zugebracht, aus seinem kleinen Schlauchboot ein Segelschiff zu bauen. Für Mast und Querstange verwendete ich die Ruder, und als Segel diente ein Tuch aus dem Verbandskasten. Mein Vater war begeistert von der technischen Leistung und bat um ein Foto, bevor das hübsche Konstrukt erwartungsgemäß zusammenklappen würde, sobald wir uns entweder hineinsetzten oder der Wind in das Segel blies. Dann machte er sich leise lachend daran, das große Schlauchboot an Land zu ziehen und gewohnheitsgemäß zum Trocknen aufzuständern.
    Mein Bruder und ich schoben unser Segelboot ins Wasser, und ich hob ihn vorsichtig hinein, um nicht die Stabilität des Mastes zu gefährden. Der stand nämlich nur auf einem zusammengedrückten Schwamm, weil ich natürlich kein Loch in den Gummiboden stanzen konnte, und war ansonsten einfach nur so fest wie möglich von oben nach unten festgezurrt.
    Mein Bruder war begeistert und sah mich mit Kulleraugen voller Dankbarkeit an. Er war nun Kapitän seines eigenen Segelschiffes, und ich wollte ihm diesen Moment irgendwie nicht nehmen. Also nahm ich den selbstgebastelten Papierstern von meiner Schwimmweste, der mich als eine Mischung aus Käpt’n und Sheriff auszeichnete, und heftete ihn feierlich an seine Brust. Dann stieß ich das Boot ganz leicht an, auf dass es sich vielleicht ein, zwei Meter im flachen Wasser um sich selbst drehen würde. Stattdessen stand der Wind wohl recht günstig, und mein Bruder war innerhalb weniger Schrecksekunden so erstaunlich weit weg vom sicheren Ufer, dass ich erst gar keine Worte fand. Erst jetzt wurde mir klar, dass wir erstens gar keine Steuermöglichkeit eingebaut hatten und zweitens die Ruder in der Segelkonstruktion verbaut waren!
    Unfassbar schnell hatte das kleine Boot mit meinem kleinen Bruder darin die Markierungsbojen für den sicheren Schwimmbereich passiert. Wir hatten ihm beim normalen Rudern immer eingeschärft, dass er diesen auf keinen Fall verlassen dürfe, und als das nun unfreiwillig geschah, begann er Gott sei Dank ebenso panisch wie lautstark zu weinen. Dadurch löste ich mich endlich aus meinem Schreckstarrkrampf und wendete mich stotternd meinem Vater zu, der mir nicht antwortete. Stattdessen rammte er mit voller Wucht das eben noch aufgestellte Schlauchboot, um es so höchst effektiv mit der richtigen Seite nach unten in den Sand zu werfen. Da riss er auch schon den Bug herum und zerrte es über den Strand ins Wasser. Mir blieb nichts anderes übrig, als recht armselig mit anzufassen, um wenigstens die Mimikry von »helfen« beizusteuern. Aber mit der Wucht und Geschwindigkeit

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