Das Wahre Kreuz
im Durchzug flackerte. Er stellte sie auf einen der Tische und entfernte sich abermals. Als er ein paar Minuten später zurückkam, brachte er eine dampfende Schale, in der ein Löffel steckte. Er stellte sie neben die Kerze auf den Tisch und bedeutete mir, Platz zu nehmen und zu essen.
Ich hatte wirklich Hunger, und der heiße Brei in der Schüssel versprach, gegen die Kälte zu helfen. Daher setzte ich mich und führte den Löffel zum Mund. Der Brei schmeckte leicht süßlich. Ein sehr einfaches Essen, aber ich vertilgte es mit großem Appetit, schaufelte es förmlich in mich hinein.
Mein stummer Gesellschafter schüttelte den Kopf, drehte die rechte Hand mit der Fläche nach oben und rieb die Fingerspitzen aneinander. Das hieß, ich sollte langsam essen. Ich konnte nicht anders, als laut zu lachen. Mehr als achtundvierzig Stunden war ich durch die Wüste geritten und hatte erwartet, in dieser Festung auf die Ritter vom Verlorenen Kreuz zu treffen, die nichts anderes wollten, als mir Gewalt anzutun. Statt dessen wurde ich von einem Ägypter freundlich bewirtet, ja, geradezu bemuttert. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, auch nicht, als der Orientale mich befremdet ansah und mit der noch immer nach oben zeigenden Hand wackelte, womit er sich nach dem Grund für meinen Heiterkeitsausbruch erkundigte.
Aber ich war nicht wirklich heiter gestimmt. In meinem Gelächter löste sich lediglich etwas von der tage-langen Anspannung.
»Es freut uns, wenn es unseren Gästen gutgeht«, sagte hinter mir eine rauhe Stimme in altertümlich klingen-dem Französisch. »Ein solches Lachen haben diese Mauern lange nicht mehr gehört.«
Mein Kopf fuhr herum, und ich sah sie im Eingang zum Speisesaal stehen: die Ritter vom Verlorenen Kreuz! Fünf, nein, sechs von ihnen standen dort, bewaffnet, aber ohne Rüstung und Waffenrock; sie trugen nur das Ordensgewand. Es war, wie die Waffenröcke, in Schwarz und Weiß gehalten, aber die aufgestickten Kreuze waren hier viel kleiner.
Der Mann, der gesprochen hatte, stand vor den anderen, und sein Anblick ließ mich erstarren. Sein Gesicht war eine einzige Narbe aus rotem, verworfenem Fleisch, in dem Augen, Nase und Mund wie Fremdkörper wirkten.
»Der Anblick ist nicht leicht zu ertragen, was?« sagte er mit einem seltsam lauernden Unterton. »Fast kann ich froh sein, daß ich der Entstellte bin und mir nicht selbst ins Gesicht sehen muß. Wären da nicht die Schmerzen, tagein, tagaus, die mich auch nachts peini-gen und kaum zur Ruhe kommen lassen. Gefällt dir nicht, was du angerichtet hast?«
Was ich angerichtet hatte? Zunächst verstand ich das nicht, doch dann wußte ich, wovon er sprach. Ich dachte an meine erste Begegnung mit den Kreuzrittern, an den Kampf im unterirdischen Tempel. Vor mir stand der Mann, dem ich eine brennende Fackel ins Gesicht gerammt hatte!
»Jetzt erinnerst du dich, ich sehe es dir an.« Der Kreuzritter trat an den Tisch, nahm die Kerze hoch und hielt sie so dicht vor mein Gesicht, daß die Hitze auf meinen Wangen brannte. »Das ist nichts im Vergleich zu dem Brennen in dem, was einmal mein Gesicht gewesen ist!«
Ein anderer Ritter, der trotz seines ergrauten Haares noch kräftig wirkte, trat neben ihn. »Laß es gut sein, Bruder Roger! Dein Schmerz ist verständlich, aber Rache ist keine christliche Tugend.« Während der Verunstaltete die Kerze zurück auf den Tisch stellte, richtete der andere seinen Blick auf mich.
»Ich bin Thibaut du Lac, der Großmeister des Ordens vom Verlorenen Kreuz.« Mit einem traurigen Blick in die Runde fügte er hinzu. »Oder dessen, was davon übrig ist.«
Was er da andeutete, erschien mir unglaublich. »Sie wollen doch nicht sagen, daß es nur Sie sechs gibt?«
Im Gesicht des Großmeisters spiegelte sich Wehmut wider. »Früher waren wir mehr, viel mehr, aber da hatten wir auch viel Unterstützung. Andere Ordensge-meinschaften und große Abteien haben uns mit Geld gefördert, und mancher neue Bruder ist aus ihren Reihen zu uns gekommen, um das Kreuz Jesu für die Christenheit wiederzufinden. All das geschah im geheimen, um unsere Mission nicht zu gefährden, und deshalb gibt es keine offiziellen Aufzeichnungen darüber. Aber die Jahrhunderte flossen dahin, und immer weniger fanden sich bereit, für unsere Sache einzutreten. Schon seit Jahren sind wir auf uns allein gestellt, und mit jedem Gefecht, in das wir ziehen, nimmt unsere Zahl ab.
Als der Sandsturm über das Land zog und die Beduinen dir zu Hilfe
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