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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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hat. Vielleicht war es nur ein harmloser Dieb. Vielleicht war er aber auch ein Spion oder ein Attentäter wie jener, der Abul auf dem Gewissen hat. Ja, Onkel, mir ist tatsächlich nicht wohl bei dem Gedanken, Ourida allein zu lassen.«
    »Sie ist nicht allein. Wir haben die Wachen verstärkt, und ein Posten steht direkt vor ihrem Zimmer.
    Bei uns im Haus ist sie sicher.«
    »Hoffen wir es«, murmelte ich.
    Unvermittelt begann mein Onkel zu lachen. »Ich glaube, Bastien, du bist verliebt.«
    »Verliebt?« Ich schüttelte den Kopf. »Unsinn, Onkel, in wen denn?«

    Meine Reaktion fiel wohl nur deshalb so heftig aus, weil Onkel Jean die Wahrheit gesagt hatte. Ourida hatte mich in ihren Bann gezogen. Ihre Schönheit. Das Geheimnis, das sie umgab. Die tödliche Gefahr, in der sie schwebte und vor der sie bei mir Schutz gesucht hatte. Das alles ließ mich für sie entflammen. Aber da war noch mehr. Ich erinnerte mich daran, wie sie einige Stunden zuvor in meinen Armen gelegen hatte. Wie vertraut sie mir erschienen war! Und wenn ich es noch so vehement bestritt, ich hatte eine heftige Zuneigung zu Ourida gefaßt.
    Onkel Jean blieb mitten auf der Straße stehen und deutete auf unser Haus. »In wen du verliebt bist, ist nicht schwer zu erraten, mein Junge. Ich kann dich verstehen. Eine geheimnisvolle Schönheit in Gefahr bringt das Herz fast eines jeden Mannes zum Schmelzen.«
    Eben noch heiter, fuhr er mit einem ernsten Unterton fort: »Aber sei vorsichtig, Bastien. Wir kennen nicht die Hintergründe dessen, was ihr im Tempel angetan werden sollte. Wir wissen nicht, wer sie ist, woher sie kommt, welche Ziele sie verfolgt. Oder hat sie mit dir darüber gesprochen?«
    »N-nein«, antwortete ich, vielleicht ein wenig zu hastig. »Du weißt doch, daß Ourida nicht spricht.«
    »Es hätte ja sein können, daß sie ihr Schweigen dir gegenüber gebrochen hat. Immerhin scheint sie dir ein gewisses Vertrauen entgegenzubringen. Du würdest es mir doch sagen, wenn du etwas von ihr erfährst, oder?«
    »Aber natürlich, Onkel.«
    Ich konnte nur hoffen, daß ich bei diesen Worten nicht rot wurde. Mein Gewissen drängte mich, ihm von meinem seltsamen Erlebnis am Vormittag zu berichten.
    Doch ich schwieg.
    Über meine Beweggründe war ich mir selbst nicht recht im klaren. Bis zu diesem Tag war ich meinem Onkel gegenüber stets loyal gewesen. Aber seit ich Ourida kannte, hatte sich etwas in meinem Leben verändert. Ich fühlte mich ihr verpflichtet, ohne daß ich es hätte begründen können. Es schien ein Teil ihres Geheimnisses zu sein. Mehr noch, ich selbst war ein Teil davon. Das glaubte ich zumindest, wenn ich an meine Vision dachte.
    Ein schweres, mit Holzbalken beladenes und von zwei Ochsen gezogenes Fuhrwerk rumpelte auf uns zu, und eilig setzten wir unseren Weg fort. Ich war froh darüber, denn ich fürchtete, dem prüfenden Blick meines Onkels nicht mehr lange standhalten zu können.
    Der Ochsenkarren, den zwei Soldaten begleiteten, rollte stadtauswärts. Daraus schloß ich, daß die Ladung zur Verstärkung der Schanzen dienen sollte, die General Bonaparte rings um Kairo zum Schutz gegen einen Angriff der Mamelucken oder der Engländer anlegen ließ. Die Einheimischen, die das Ochsengespann führten und die Ladung zu beiden Seiten sicherten, blickten mürrisch drein. War es ihnen bloß lästig, in der Hitze des frühen Nachmittags arbeiten zu müssen? Oder galt ihre Verstimmung den fremden Soldaten, denen sie dienten? Zwar achtete Bonaparte streng darauf, daß alle Ägypter für ihre Dienste angemessen bezahlt wurden und daß man niemanden zur Fronarbeit zwang, aber ich wäre mir seltsam vorgekommen, hätte ich für Fremde arbeiten müssen, die mein Land besetzt hielten.
    Mir war die Ergebenheit, mit der sich die Bewohner Kairos den französischen Eroberern gefügt hatten, bis-weilen unbegreiflich. Was Aflah heute morgen über meine Landsleute gesagt hatte, wies in eine andere Richtung. Ich nahm nicht an, daß sie der einzige Mensch in Kairo war, der solche Ansichten hegte.
    Wir bekamen Aflah nicht zu Gesicht, was ich bedauerte. Nicht wegen ihrer Ansichten, sondern weil sie eine hübsche Erscheinung war, selbst – oder erst recht –
    dann, wenn sie in Wut geriet. Maruf ibn Saad begrüßte uns wie alte Freunde und war innerhalb weniger Minuten bereit, uns zum Ägyptischen Institut zu begleiten.
    Auf unserem Weg durch die belebten Straßen, wo Händler aller Art laut ihre Waren feilboten, plauderten wir munter in französischer

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