Das Wahre Kreuz
gebunden.
Trotzdem waren sie, wie ich selbst auch, vollkommen verschmutzt und verdreckt.
Ihre Kameraden aus dem Lager sahen nicht minder verwegen aus. Keiner von ihnen trug seine vollständige Uniform, viele hatten zur Arbeit den Oberkörper entblößt. Ich fragte mich, ob ihre dunkle Haut von der Sonne gefärbt oder einfach nur schmutzig war. Wahrscheinlich beides.
Auch ich rutschte dankbar aus dem Sattel, froh, von der Pein im Gesäß erlöst zu sein. Anders als die Husaren, die allesamt begnadete Reiter waren, fühlte ich mich auf dem Pferderücken nicht eben zu Hause. Zu Beginn unserer Reise hatte mir das noch nicht viel aus-gemacht. Aber im Lauf des zweiten Tages war der Schmerz mit jeder Stunde quälender geworden. Als ich mit staksigem Gang auf das Zeltlager zuschritt, erntete ich Gelächter und ein paar spöttische Rufe aus den rauhen Kehlen der Veteranen.
Zwischen den Soldaten erblickte ich die vertraute Gestalt meines Onkels, der mich mit seinen kräftigen Armen an sich drückte wie ein Bär sein Junges. Solche Gesten waren für ihn eher ungewöhnlich, und gerührt schloß ich, daß er mich wirklich vermißt hatte. Er führ-te mich in sein Zelt, das in der Mitte des Lagers stand, und tischte Wasser und Wein, Brot, Käse und kalten Braten auf.
»Nicht so feudal wie das Essen, das der Österreicher neulich für uns zubereitet hat«, sagte er und setzte sich zu mir. »Aber ich hoffe, es mundet dir trotzdem.«
»Das Essen schon, besonders das Wasser«, erwiderte ich und nahm einen kräftigen Schluck, »aber nicht die Erinnerung an jenen Abend.«
Die eben noch heiteren Züge meines Onkels verdü-
sterten sich. »Was stört dich an dem Abend?«
»Es ist nicht der Abend, der mich stört, sondern unser Gast, Bonaparte«, erklärte ich und berichtete, wieso ich überhaupt gekommen war.
Onkel Jean rieb sich das bartstoppelige Kinn. »Das ist in der Tat seltsam. Hast du Bonaparte irgendwie verärgert?« Ich dachte an die Nacht mit Ourida, beschloß aber, sie nicht zu erwähnen. Mein Onkel wäre sicher wenig erfreut gewesen. Als ehemaliger Mann der Kirche hatte er strenge Vorstellungen von Anstand und Moral.
»Ich wüßte nicht, wie ich Bonaparte verärgert haben sollte. Seit jenem Abendessen habe ich ihn weder gesehen noch von ihm gehört. Bis gestern morgen überraschend General Lannes auftauchte und erklärte, Ourida solle in Bonapartes Palast von einem geübten Sprachlehrer unterrichtet werden.«
Auch daß Ourida, wie ich bei unserem Abschied festgestellt hatte, das Französische viel besser beherrschte als geglaubt, verschwieg ich. Ich hätte es nicht erklären können, ohne meinem Onkel von der mysteri-
ösen Erinnerung an eine vergangene Zeit zu erzählen.
Doch bevor ich das tat, wollte ich mehr darüber in Erfahrung bringen. Tief in mir saß noch immer jene unbestimmte, aber pochende Angst, ich könne Ourida in Gefahr bringen, wenn ich das Geheimnis preisgab.
»Vielleicht hättest du Bonaparte über Ouridas Fortschritte unterrichten sollen«, mutmaßte Onkel Jean.
»Dann wäre er wohl davon ausgegangen, daß du deine Sache gut und richtig machst. So aber fühlte er sich von dir im unklaren gelassen. Ich nehme an, das ist der Grund, warum er einen anderen mit Ouridas Sprachunterricht betraut hat.«
»Gebe Gott, daß es der wahre Grund ist!« seufzte ich. »Wieso? Was befürchtest du?«
»Bonaparte ist dafür bekannt, daß er seinen Appetit auf das weibliche Geschlecht ohne Rücksicht auf andere zu stillen pflegt.«
Mein Onkel lächelte wissend. »Mein Sohn, ich glaube wirklich, du hast dich in Ourida verliebt. Nein, nein, leugne es nicht, auch wenn ich mich damals für das Kloster entschieden habe, weiß ich doch einiges über die Gefühle von Mann und Frau. Ich kann verstehen, daß Ourida, schutzbedürftig und geheimnisvoll, dir außerordentlich anziehend erscheint, aber vergiß nicht, daß wir sehr wenig über sie wissen, zu wenig, als daß du dir ernsthafte Hoffnungen machen solltest. Sieh nur zu, daß du nicht zu einem verliebten Narren wirst!«
»Aber Onkel!« wehrte ich ab und errötete.
»Schon gut«, lachte er, »das sollen in dieser Angelegenheit alle Belehrungen gewesen sein. Ich kann dir deine Gefühle nicht untersagen, niemand kann das, aber du solltest gleichwohl deinen Verstand benutzen.
Im übrigen denke ich, was Bonaparte angeht, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
Er zeigte nach draußen, in Richtung Tempeleingang.
»Ich glaube, er ist mehr an diesem alten Heiligtum
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