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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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ohne zu wissen, was er meinte. Sie beugte sich über Suleika und küsste sie auf die Stirn. «Ich schau später noch mal rein», sagte sie.
    Â«Ist schon okay. Ich darf heute wieder fernsehen. Und ein paar Kolleginnen wollten vorbeischauen.»
    Â«Kolleginnen?», fragte Erika. Sie konnte selber hören, wie eifrig, wie begierig ihre Frage klang.
    Suleikas Gesicht verschloss sich sofort. «Ja, stell dir vor, ich habe Kolleginnen.»
    Â«Caroline?», fragte Max.
    Â«Die ist doch in der Camargue. Nein, Steffi und ein paar andere aus der Yogagruppe kommen. Vielleicht müssen sie mich besuchen, die machen ja so ein Sozialprogramm. Vielleicht gehört das dazu: die Fette im Spital besuchen …»
    Â«Blödsinn, Sully! Die kommen, weil sie dich mögen. Steffi hat mich zweimal abgepasst, um nach dir zu fragen.»
    Â«Das sind aber nicht die Mädchen aus der Siedlung, die dir die Drogen verschafft haben?» Erika war froh, dass Max zur Abwechslung auch einmal einen Fehler machte.
    Â«Doch, genau das sind sie, meine kleinen Dealerinnen, sie kommen mit dem Nachschub, also lasst mich jetzt in Ruhe!» Suleika drückte auf die Klingel. Eine Krankenschwester kam herein. «Ich möchte schlafen», jammerte Suleika. «Ich hab Kopfweh.»
    Â«Ich muss Sie dann bitten zu gehen …»
    Und jetzt saßen sie hier, in einem improvisierten Patientencafé, zwischen zwei Abteilungen und einer Baustelle. Besucher gingen vorbei, immer wieder dieselben, sie hielten Pläne in der Hand und suchten einen Lift, den Zugang zum Osttrakt, irgendetwas. Auch Ärzte gingen vorbei. Auch Lukas? Vielleicht. Erika hielt mit einem Auge nach ihm Ausschau. Sie wollte ihn sehen. Sie wollte mit ihm reden. Vielleicht war er ja nicht derselben Meinung wie Doktor Fankhauser. Vielleicht dachte er, wie sie, dass es besser wäre, Suleika zu schonen. Wem nützte die Wahrheit?
    Â«Lukas? Das bildest du dir ein», sagte sie zu Max, obwohl sie gerne nachgefragt hätte. Wie meinst du das, wie kommst du darauf? Warst du etwa eifersüchtig, damals? Sie hätte alles dafür gegeben, eine Reaktion von ihm zu bekommen. Damals. Heute würde sie alles dafür geben, dass Lukas sie wieder anschaute. Vielleicht wollte Suleika ja zu Max ziehen. Dann musste Erika nichts sagen. Und Lukas wäre auch nicht mehr an Suleikas Behandlung beteiligt.
    Â«Ich kann Suleika nicht nehmen», sagte Max, als hätte er ihre Gedanken gelesen. «Es geht einfach nicht.»
    Â«Aber du hast doch gesagt …»
    Â«Ich weiß, was ich gesagt habe.»
    Â«Und wenn sie sich für dich entscheidet?»
    Sie tranken lauwarmen Kaffee aus weißen Tassen. Erika hatte sich eine Schokoladewaffel genommen, die halb geschmolzen war und an der Alufolie festklebte. Ihre Finger waren braun verschmiert. Sie wollte sie schon ablecken, da bemerkte sie den Blick von Max und wischte sich die Hände an der Hose ab. Sie schob die Waffelreste von sich. Unter diesem Blick konnte sie nicht essen.
    Â«Dann musst du dir eben was einfallen lassen», sagte Max. «Mach eine Szene, sag, du könnest ohne sie nicht leben, irgendwas. Das bist du mir schuldig.»
    Â«Das bin ich dir schuldig? Aber …» Suleika würde sich nie freiwillig für sie entscheiden, das wusste Erika. Sie konnte sie nicht zwingen, bei ihr zu wohnen. Und dann noch mit ihrer Krankengeschichte konfrontieren. Sie würde ihre Tochter für immer verlieren.
    Â«Ohne deine Eskapaden wär das alles nicht passiert», sagte Max. «Jetzt wird es Zeit, dass du mal Verantwortung übernimmst. Für alles, was du getan hast. Ich bin ja wohl nicht der Einzige, der heute ein Déjà-vu hatte!»
    Es gab kein Entkommen. Wohin sie sich wandte, ihre Unzulänglichkeit war vor ihr da. Erika nickte. Sie akzeptierte das Urteil. Dann fiel ihr etwas anderes ein. «Was ist mit der Fabrik?», fragte sie.
    Â«Oh, Angriff ist die beste Verteidigung, hm?»
    Â«Erzähl es einfach.»
    Max schaute in seine leere Kaffeetasse, als könne er dort die richtigen Worte finden. «Eins meiner Projekte ist hochgegangen. Im Rahmen einer großangelegten Untersuchung wurde festgestellt, dass auch in meinem Projekt Kinder arbeiten. Ausgenutzt werden. Und zwar in einem Ausmaß, das man nicht mehr wegreden kann.» Er winkte ab. «Ich hatte keine Ahnung davon, aber das glaubt mir natürlich niemand.» Er fuhr sich mit beiden Händen über das

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