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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Gewissen, das hat mir Gerda klargemacht …»
    Â«Hast du auch mit Gerda geschlafen?»
    Â«Ist das jetzt noch wichtig?»
    Â«Das heißt: ja.» Erika stand endlich auf. Als sie in der zweiten Klasse war, war sie von ein paar Buben verprügelt und in einer Garage eingesperrt worden. Dass sie verprügelt wurde, kam öfter vor. Es musste mit der Extrawurst zu tun haben. Erika erzählte niemandem davon. Das würde alles noch schlimmer machen. Sie lernte, schnell zu rennen, Abkürzungen durch die Vorgärten zu nehmen. Wenn die anderen sie erwischten, nahmen sie ihr den Schulthek weg, warfen ihre Hefte in den Bach, schubsten oder traten sie. Lauter Dinge, die man leicht verbergen konnte. In der Garage war es dunkel, und es roch nach Benzin. Erika dachte, sie würde ersticken. Die Luft würde zu knapp. Es gab keine Tür, die sie öffnen, kein Fenster, das sie einschlagen konnte. Sie saß auf dem kalten Betonboden und weinte, bis das Tor von außen geöffnet wurde und ein kleiner roter Wagen hereinrollte. Erika sprang auf und schlüpfte an dem Wagen vorbei, bevor das Tor sich wieder senkte. Sie kam zu spät zum Mittagessen. Nur eine Stunde. Nur eine Stunde war sie eingesperrt gewesen. Niemand hatte sie vermisst. Nur die Haushälterin, eine strenge Frau, ärgerte sich über das zerkochte Essen und erstattete Marylou Bericht. Und schließlich erzählte Erika ihrer Mutter, was passiert war.
    Â«Diese kleinen … das gibt es doch nicht!» Marylou war empört. Sie nahm Erika bei der Hand und zerrte sie hinter sich her ins Dorf zurück. Erika weinte wieder, sie hatte Hunger, sie hatte Angst. Schließlich fanden sie das Haus mit der Garage. Die Frau, die aus dem kleinen roten Wagen gestiegen war, öffnete ihnen. Sie erschrak, als sie Marylou erkannte, und noch mehr, als sie erfuhr, worum es ging. Sie rief ihren Sohn dazu – sie standen immer noch in der Tür, die einen drinnen, die anderen draußen. Der Junge sah Erika und ihre Mutter und wurde rot. Erika erinnerte sich genau daran, wie die Farbe sein Gesicht ausfüllte. Erst die Backen, dann die Stirn.
    Â«Andreas, stimmt das? Habt ihr das Mädchen in die Garage gesperrt?»
    Der Bub wurde noch röter. Er sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. «Ja!», schrie er schließlich. «Ja, das haben wir!»
    Â«Andreas!» Seine Mutter packte ihn am Arm und schüttelte ihn. «Was fällt dir ein! Wer macht denn so etwas. Du entschuldigst dich, jetzt, sofort!»
    Â«Aber wir sind doch jünger als sie!», rief er verzweifelt. «Was sollen wir denn tun? Wenn sie sich von Erstklässlern verprügeln lässt?»
    Darauf hatte auch Marylou nichts mehr zu sagen gewusst. Wortlos waren sie zur Villa zurückgegangen. Die Haushälterin hatte in der Zwischenzeit einen Kuchen gebacken. Sie schnitt Erika ein Stück ab. Es war noch warm. Marylou war auf ihr Zimmer gegangen. Wenn Erika sich von Kleineren plagen ließ, war sie selber schuld. All die Jahre hatte sie das gewusst und es wieder vergessen. Aber jetzt stand sie endlich auf.
    Max hielt sie am Arm zurück. «Erika – ich wollte mich nicht in dich verlieben. Es war nicht vorgesehen. Aber es ist passiert, ich habe dich geliebt. Gegen meinen Willen. Und nicht die ganze Zeit. Aber immer wieder. Immer wieder sehr. Das musst du mir glauben.»
    Das glaubte sie ihm auch. Sie hatte ja auch alles daran gesetzt, dass dieser Mann, der ihr weder gefiel noch sympathisch war, sich in sie verliebte. Dabei hätte er sie auch so geheiratet. Auf Befehl ihrer Mutter. Sie hätte gar nichts dazu tun müssen. Sie hatte gewonnen, trotz allem. Was für ein Sieg. Was für eine Verschwendung.
    Erika machte ihren Arm los. Auf ihre letzte Frage wusste sie die Antwort schon. «Warst du bei meiner Mutter, als es passierte?» Sie musste nicht erklären, was sie damit meinte. Er nickte. Sie ging. Als der überdachte Gang endete und sie ins Freie trat, begann es endlich zu regnen.

Nevada
1.
    Â 
    Â«Ich muss dir etwas sagen.»
    Â«Bitte nicht.»
    Warum, dachte Nevada, warum kommen diese Worte immer im falschen Moment? Warum verheißen sie nie etwas Gutes? Ich muss dir etwas sagen: Ich liebe dich. Ich bekomme ein Kind. Wir haben im Lotto gewonnen. Alles ist gut.
    Nein. Ich muss dir etwas sagen, ich muss . Das konnte nichts Gutes bedeuten. Und schon gar nicht in einem Moment wie diesem, dem nichts fehlte,

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