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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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den Händen hielt sie ein großes Kuchenblech, mit Alufolie bedeckt, und stellte sich ihnen so in den Weg. Elma musste anhalten.
    Vorsichtig legte Dijana das Blech auf Nevadas Schoß. «Schauen Sie, Nevada, ich hab Ihnen einen Kuchen gebacken, schauen Sie, es ist der Ganeesha . » Stolz hob sie die Folie vom Tablett und zeigte einen erstaunlich genau geformten sitzenden Elefantengott. Der dicke Leib war mit glänzender dunkler Schokolade überzogen, der Kopf mit rosa Zuckerguss. Die Augen und der Rüssel waren mit Smarties und Gummibärchen verziert.
    Â«Dijana, der ist ja wunderschön! Sollen wir den nach der Stunde gemeinsam essen?»
    Â«Nein, Frau Nevada, den hab ich doch für Sie gemacht. Der ist nur für Sie!»
    Â«Den hast du ganz allein gemacht? Das ist ja toll.»
    Â«Nein, meine Mutter hat mir geholfen, sie hat ein Buch über indische Götter, ich hab doch gesagt, meine Mutter macht auch Yoga, wie Sie, Frau Nevada.»
    Â«Halt die Klappe! Deine Mutter kann nicht mal lesen und schreiben», knurrte Elma. Ihre Hand schoss nach vorn, griff in das Blech und brach den rosa Rüssel ab. Sie steckte sich das bröckelnde Kuchenstück in den Mund und sagte kauend: «Den Teig hast du auch nicht selber gemacht, das ist eine Mischung.»
    Dijana starrte mit offenem Mund. Schützend legte Nevada ihre Hände über den Kuchen.
    Â«Sei nicht traurig», sagte sie. «Das ist das Schicksal von Ganeesha. Der hat schon ganz anderes durchgemacht. Ich erzähl euch die Geschichte nach der Stunde, und dann essen wir den Kuchen. Danke, Dijana.» Nevada nahm die Räder ihres Stuhls wieder selber in die Hand und rollte ein Stück von Elma weg.
    Â 
2.
    Als sie zur Turnhalle kamen, warteten Ted und Stefanie in Begleitung eines sehr dicken Mädchens auf sie. Nevada hatte noch nie ein so dickes Mädchen gesehen. Nicht in der Schweiz, nicht in Indien, nicht einmal in Amerika.
    Â«Nevada, das ist Suleika, sie ist auch hier in den Ferien. Ist es in Ordnung, wenn sie die letzten beiden Wochen an den Yogastunden teilnimmt?», fragte Stefanie.
    Â«Das ist unsere Stunde!» Elma runzelte die Stirn. «Die ist nicht für Normale.»
    Â«Sehe ich normal aus?», fragte das dicke Mädchen mit den rosagestreiften Haaren.
    Â«Definiere normal», murmelte Stefanie. «Hey, Elma, was ist mit mir? Ich mach ja auch mit.»
    Â«Ja, aber du bist …», begann Elma.
    Â«â€¦ definitiv nicht normal!», führte Dijana den Satz zu Ende.
    Â«Es ist schon gut», entschied Stefanie, bevor Nevada etwas sagen konnte, und zog Suleika in die Turnhalle.
    Â«In Ordnung?», fragte Ted nach.
    Nevada nickte. Wieder nahm sie sich vor, mit Stefanie zu reden. Sie zu überzeugen, die Verantwortung für die Yogastunde, für die anderen Mädchen ihr zu überlassen. Doch dafür musste sie erst ihr Vertrauen gewinnen. Auch über Stefanie wusste sie nur, was ihr Körper ihr zeigte.
    Nevada begann mit Atemübungen im Stehen. Sie wollte sehen, wie Suleika sich bewegte. Was ihr Körper ihr erlaubte.
    Â«Hebt die Arme über den Kopf …» Suleika streckte die Arme schräg nach vorn. Sie konnte sie nicht nach oben heben. Doch in der Vorbeuge berührte ihre Nase die Knie, und als sie aus dem herabschauenden Hund ein Bein hochheben sollten, streckte Suleika ihres beinahe in den Spagat. Nevada fing einen Blick auf, der sie herausforderte. «Das hättest du mir nicht zugetraut, was?», fragte der Blick.
    Jedes der Mädchen in der Gruppe schien außerhalb seiner Haut zu leben. Neben seinem Körper zu stehen. Als gehöre er nicht zu ihr. Die einen waren sehr dünn, die anderen waren dick. Die einen bewegten sich eckig und hart, die anderen schienen keinen festen Boden unter den Füßen zu finden. Nevada beobachtete das bei vielen ihrer Yogaschülerinnen, und auch bei Männern. Sie mochten ihre Körper beherrschen, aber sie gehörten ihnen nicht. Sie fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut. Die meisten bekämpften dieses Gefühl, in dem sie noch härter gegen ihren Körper vorgingen, ihn kasteiten, kontrollierten, quälten. Nevada gefiel die Art der dicken Mädchen hier, mit diesem Lebensgefühl umzugehen, darauf zu reagieren: nicht mit Selbsthass, sondern mit Wut. Mit Gewalt oder Trotz. Sie breiteten sich aus. Hier bin ich, sagten ihre vorgewölbten Bäuche, ihre mächtigen Schenkel und Oberarme. Suleika

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