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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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heute zurück», sagte Erika. Als ob sie es selber glaubte.
    Â«Sonst klingelst du einfach.» Das war das Schöne an der neuen Wohnung: All ihre Freundinnen waren in der Nähe. Sie konnte nur klingeln. Aber sie klingelte nicht. Sie wollte das mit dem Stillen nicht erklären, die Fläschchen nicht rechtfertigen, die Wegwerfwindeln, die ihre Mutter ihr kistenweise geschickt hatte. Den Schnuller, den damals niemand benutzte, nur sie. Andere Frauen mussten andere Tricks kennen, um ihre Kinder zu beruhigen. Doch sie teilten sie nicht mit Erika.
    Ihr Kühlschrank war gefüllt, in zwei Tagen würde Max kommen. Suleika schlief nicht in der Krippe im Kinderzimmer. Sie legte sie zu sich aufs Bett, sie gewöhnte sich an ihre Anwesenheit, an ihren Atem, an ihr Weinen. Das Füttern, alle zwei Stunden, alle drei, im Liegen. Sie gewöhnten sich an einen Rhythmus, sie waren wie aneinandergewachsen. Suleika schlief an ihrer Brust.
    Sonst nichts. Schlafen, trinken, schlafen, trinken. Erika wickelte ihre Tochter, zog sie an und wieder aus, probierte all die winzigen Anzüge aus, von denen einige schon zu klein waren. Sie schaute ihre Tochter an und dachte: Ich werde von allem Anfang an alles richtig machen mit dir. Du bist mein Experiment, dachte sie. Meine Schöpfung. Ich mache dich zur perfekten Frau. Wenn ich selbst schon keine bin.
    Für sie, Erika, war es zu spät. Aber für Suleika war alles noch möglich. Erika fühlte sich, als sei sie aus der Welt gefallen. Seit dem letzten Monat der Schwangerschaft hatte sie das Haus kaum verlassen. Am Samstag würde sie duschen. Wenn Max kam. Doch Max kam nicht. Ein Problem mit der neuen Kollektion, unmöglich, jetzt wegzufahren.
    Am Samstag duschte Erika nicht. Sie legte sich wieder ins Bett. Suleika wachte auf und begann zu weinen. Und jetzt lagen sie beide auf dem Küchenboden. Suleika schaute mit großen blauen Augen an Erika vorbei an die Decke und blinzelte. Aus einem ihrer Nasenlöcher tropfte Blut. Ihr rosaroter Strampelanzug war mit der Milch verschmiert, die entweder aus der Flasche getropft war oder die sie wieder ausgespuckt hatte. Erika richtete sich auf. Ihr Kopf tat weh. Mit einer Hand hielt sie sich an der Küchentheke fest, im anderen Arm lag ihr Kind. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Realität um sie herum erst wieder zusammensetzen musste.
    Mit der freien Hand betastete sie ihren Hinterkopf. Sie hatte keine Beule. Als sie sich bückte, um die Flasche aufzuheben, hatte sie das Gefühl, ihr Hirn schwappe nach vorn und schlage schmerzhaft gegen ihre Stirn. Sie ließ die Flasche liegen. Blieb einen Moment in der Hocke. Langsam stand sie wieder auf. Sie trug Suleika ins Kinderzimmer, legte sie auf den Wickeltisch und begann sie auszuziehen. Suleika begann zu weinen. Plötzlich ein einziger, klarer Gedanke: Nasenbluten. Kopfverletzung.
    Als Kind war Erika vom Pferd gefallen und hatte sich den Schädel gebrochen. Das Erste, was der Arzt gefragt hatte: «Blutet sie aus der Nase oder dem Ohr?»
    Erika wickelte Suleika in eine Decke, so wie sie war, mit dem halb angezogenen Strampler, mit der vollen Windel, und rief ihre Mutter an.
    Warum ihre Mutter? Warum nicht ihren Mann? Es war dieselbe Nummer. Max war im Glarnerland, er schlief in der Chauffeurwohnung über der Garage von Marylous Villa. Niemand hob ab. Erika rief ein Taxi.
    Suleika hörte nicht auf zu schreien. Der Fahrer, ein freundlicher älterer Mann, beruhigte sie. Jedes Kind sei schon mal vom Wickeltisch gefallen. Und einem, das so schreien konnte, war sicher nichts passiert. Er setzte sie vor dem Eingang zur Notaufnahme ab. Erika sah sich in der Glastür gespiegelt, eine blasse dünne Frau in einem schmuddeligen weißen Trainingsanzug, das blonde Haar dunkel an den Kopf geklebt.
    Suleika schrie immer noch. Sie hatte nicht aufgehört zu schreien, seit Erika versucht hatte, sie auszuziehen. Seit sie ihre Arme bewegt hatte.
    Die Schiebetüren glitten auseinander, und Erika hatte wieder dieses Gefühl, dass die Realität sich spalte, auseinanderbreche wie die zwei Hälften ihres Spiegelbilds. Sie stolperte. Im selben Moment stand eine junge Frau in einem rosa Kittel vor ihr.
    Â«Ich hab mein Baby fallen lassen», sagte Erika, und dann ging alles sehr schnell.
    Â 
3.
    Lukas fuhr zu schnell. Er hatte einen «Arzt im Dienst»-Kleber auf der Windschutzscheibe und eine blinkende Warnleuchte auf dem Dach. Konzentriert folgte

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