Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
denn der Hochkönig hatte mehr getan, als seine Domäne an einem Ort natürlicher Schönheit zu errichten. Er hatte dieser Schönheit Blumengärten und Obsthaine von unübertreffbarer Lieblichkeit hinzugefügt und sie mit einer Reihe exotischer Bauern bevölkert, Tänzer, Jongleure und Tierbändiger. Ihre Vorführungen wirkten zunächst weder phantastisch noch schwierig, bis man begriff, daß alles, was sie taten, durch Geduld und Training entstanden war und nicht durch Talente. Wenn die Tänzer in die Luft sprangen, schnellte die Kraft ihrer eigenen Muskeln sie hoch über das Gras, nicht das Talent des Waffenträgers zum Fliegen. Wenn die Jongleure sieben Bälle zwischen dem Himmel und ihren Händen wirbelten, war es Training, das sie dazu befähigte, nicht das Talent eines Portierers. Sobald man das wußte, empfand man beim Zuschauen eine unaufhörliche Faszination. Als sie merkten, daß ich noch kein Talent entwickelt hatte, erkannten sie mich beinahe als einen von ihnen an, und eine Gruppe Akrobaten brachte mir ein paar einfache Kunststücke bei, auf die ich übermäßig stolz war. Ich bewunderte die Grazie, mit der sie sich bewegten. Talente waren nicht graziös. Oder besser gesagt, die meisten nicht. Ich hatte einige Spieler gesehen, die Anmut beim Üben ihres Talents an den Tag gelegt hatten, aber nicht viele. Diese Bauern jedoch bewegten sich geschmeidig wie Wasser oder Wind über Grashalmen. Ich fragte mich, warum Talente nicht in gleicher Weise genutzt wurden.
»Seidenhand übt ihr Talent mit Grazie aus«, bemerkte Yarrel trocken.
Ich dachte darüber nach – und natürlich, es stimmte. »Himaggery auch«, sagte ich. »Obwohl ich mir nicht sicher bin, welches Talent er besitzt.«
»Vielleicht benutzt er überhaupt kein Talent.«
Nun, das war eine kühne Behauptung! Wie viele von Yarrels Kommentaren war auch dieser Gedanke beunruhigend, unbefriedigend und biß sich in den Schwanz. Also kümmerte ich mich lieber darum, weiter Rad zu schlagen und auf Händen zu laufen. Vergeßt nicht, ich war schließlich nur ein Junge.
Schließlich, nach etwa neun oder zehn Tagen Vergnügungen und Völlerei an des Hochkönigs üppiger Tafel, wurden wir wieder zu ihm gerufen. Er hatte an diesem Morgen verschiedene Geschäfte zu erledigen: Delegationen von Händlergruppen zu empfangen, einem Vogelhändler seltene Exemplare abzukaufen und uns aus seiner Obhut zu entlassen. Er brachte alles in großer Eile hinter sich und gab uns Kräutertöpfe und einen eingesperrten Vogel als Geschenk für den alten Mann mit. Der Vogel sollte eigentlich sprechen, tat aber während des Weges nichts weiter, als Früchte zu essen und den Boden des Käfigs zu beschmutzen. Er war sehr schön, aber ich mochte seinen Geruch nicht.
Der Weg nach Windlowhaus führte uns durch einen Wald, in dem seit Menschengedenken nichts mehr gerodet oder gefällt worden war. Die Bäume erhoben sich hoch wie Türme, ihre Kronen bildeten riesige Wolken. Tannennadeln übersäten den Pfad, und es roch nach Harz, würzig und angenehm in der Nase. Im Unterholz blühten Blumen, ihre Gesichter versteckt dem Moos zugewandt, und überall hörte man Wassergeplätscher. Wirritten auf einem Trampelpfad, über den, wie ich annahm, Windlowhaus von der Hohen Domäne aus versorgt wurde, anders als die Schulhäuser, die ich kannte, die eigene Bauernhöfe und Läden besaßen. Wir fragten, ob diese Vermutung stimme, und der Führer antwortete, daß abgesehen von Fleisch, Milch, Wolle, Obst und Gemüse und Feuerholz, das von den Schuldienern gefällt wurde, alle Vorräte von dem König kämen.
Das Haus lag einen Tagesritt entfernt von der Hohen Domäne, oberhalb eines sanft nach Süden abfallenden Tals, ein einzelner weißer Turm, um dessen Fuß sich einige niedrige Gebäude scharten. Es wirkte einsam. Trotzdem fanden wir, als wir eintrafen, eine Menge Dienstboten vor. In der Küche herrschte reges Treiben, die Ställe waren ausgemistet und gekehrt, das Hofpflaster glänzte frisch gesäubert. Die Männer, die mit uns gekommen waren, luden die Vorräte ab, erhielten eine Mahlzeit und machten sich dann wieder auf den Heimweg. Nur wir sowie drei oder vier Spieler aus der Hohen Domäne blieben, die offenbar schichtweise Wache bei Windlowhaus hielten. Von Windlow selbst bekamen wir zunächst nichts zu sehen. Wir mußten bis zum nächsten Morgen warten. Dann fanden wir ihn im Garten hinter dem Turm, in der Wärme der frühen Morgensonne, in eine dicke Decke gehüllt.
Ich hatte noch nie
Weitere Kostenlose Bücher