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Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug

Titel: Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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ziemliche Menge Wein und erzählte sich mit dem Küchenpersonal lange Geschichten. Wir verbrachten eine angenehme, sorglose Zeit.
     
    Am dritten Tag war bei dem alten Mann der Erfolg von Seidenhands Bemühungen sogar für unsere Augen sichtbar. Er wirkte lebhafter, hielt sich aufrechter, und er stellte uns rasche, präzise Fragen. Seidenhand erklärte, daß sie kleine Veränderungen im Blutstrom des Gehirns vorgenommen habe, hier eine Substanz hinzugefügt, dort verklumptes Gewebe entfernt und an anderen Stellen kleine Dämme gebaut habe. »Nur ein paar kleine Reparaturen«, sagte sie. »Ich kann weder das Altern aufhalten noch den Tod vereiteln. Er wird unvermeidlich kommen. Doch die kleinen Schwächen und Mühseligkeiten des Alters kann ich verhindern, und es für Windlow zu tun, ist ein Vergnügen. Sein Geist fühlt sich in meinem Geist wie Sonnenschein und Regen an.«
    Gleichzeitig mit den präzisen Fragen kam auch Windlows Dialog mit sich selbst in Schwung. Zum ersten Mal hörten wir etwas über sein eigenes Leben, darüber, wer und was er war.
    »Sie gaben mir den Namen Seher«, stöberte er die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit hervor. »Sie gaben mir den Namen Seher, weil ich, wie Seher es tun, Dinge in der Zukunft erkennen konnte. Ein Regenschauer hier, eine gewonnene Wette dort. Den Ausgang eines Spieles. Das Leben oder den Tod eines Mannes. Als Talent ist es selten kontrollierbar, man kann sich niemals auf sein Erscheinen verlassen, und doch ist es fehlerlos, wenn es sich zeigt. Nun ja … Jede Domäne muß einen oder zwei Seher haben – oder sechs oder ein Dutzend. Je mehr, um so besser die Voraussage, sagt man. Und so wurde ich Seher, gebunden an einen König. Das ist der beste Platz für einen Seher. Wenigstens kann man sich dann auf die Mahlzeiten verlassen. Nun haben Seher ziemlich viel Muße. SEHEN nimmt keine Zeit in Anspruch. Also begann ich zu lesen. Bücher. Alte Bücher vor allem. Es gibt wenig neue, außer bei einer gewissen Schicht der Unveränderlichen und Bauern. Diese Bücher las ich auch. Ich las alles. Verschimmelte alte Bücher, halbvermoderte alte Bücher. Alte zerfallene Bücher. Alte Bücher über noch ältere Bücher. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was sich alles im Laufe der Zeit in den Kellern alter Schulhäuser oder von den Unveränderlichen aufgegebenen alten Städten oder irgendwelchen alten Ruinen angehäuft hat. Ich hörte auf, mich als Seher zu begreifen, und begann, von mir als einem LESER zu denken. Nun, wer liest, lernt natürlich, und es dauerte wenige Jahrzehnte, bis ich begriff, daß alle diese Bücher Teile eines großen Puzzles waren, Scherben eines zerbrochenen Kruges, Hinweise auf ein großes Rätsel. Es gab etwas in der Vergangenheit. Etwas, das sich wesentlich davon unterschied, wie die Dinge heute sind.«
    »Wart Ihr der einzige, der las?« fragte Yarrel. »Wie kamt Ihr an die Bücher? Alle die vielen Reisen …«
    Der alte Mann lächelte. »Kleine Lügen da, kleine erbettelte Gefallen dort. Für eine besonders gute Voraussicht erbat ich mir Belohnungen vom König oder Prinzen, oder um wen es sich in der Zeit damals auch handelte.« Er schmunzelte in sich hinein wie über eine unschuldige alte Schurkerei. »Seher wandern ja sowieso ziemlich viel herum. Man sagt, es schärfe die Qualität ihrer Visionen. Zu deiner anderen Frage, mein Junge – nein, ich war nicht der einzige, der las. Die meisten anderen waren Nekromanten oder Ranzelmänner. Ihr kennt keine Ranzelmänner? Sie sind ein bißchen wie Unterherolde. Ihr Talent ist es, verlorengegangene Dinge aufzustöbern.
    Tja, ich glaubte, daß es ein ungelöstes Rätsel in der Vergangenheit gebe, weit zurück, vielleicht in der Zeit von Didir und Tamor, am Anfang aller Dinge. Ich glaubte, daß ein Dokument existieren müsse, ein Buch, ein bestimmtes Buch … das Onomastikon, das Buch der Wahren Namen. Ich glaubte, daß ich es finden könne, daß ich dazu bestimmt sei, es zu finden. Begreift ihr, wenn ich erst einmal die richtigen Namen für die Dinge gelernt hätte, wäre ich in der Lage, das Rätsel zu lösen. Versteht ihr?«
    »Ihr meint, daß es einst andere Bezeichnungen für die Dinge gegeben hat? Und wenn wir sie wüßten, könnten wir erfahren, wie alles begonnen hat?« Yarrel schien von dem Gedanken belustigt. »Aber wir würden sie doch überhaupt nicht verstehen.«
    Windlow blieb geduldig. »Vielleicht doch. Möglicherweise sind es keine fremdklingenden Worte, sondern Worte, die bloß anders

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