Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
Zeit blieb, irgend etwas zu sagen. Mavin – Mutter. Und zwei Gestaltwandler, Vettern, das hieß, Kinder von Mavins Schwester. Oder Schwestern. Und ein Weg ins Freie. Durch das sonnige Loch weit oben ertönte der klare, reine Ton einer Trompete, die den Waffenträgern »Fliegt! Fliegt!« signalisierte. »Bawumm! Bawumm!« antwortete eine Trommel vom Hügel her, das Zeichen für die Tragamore. »Bewegt! Bewegt!«
»Hölle«, flüsterte ich in völliger Panik. »Wer kämpft mit wem? Ist es Himaggery? Oder der Hochkönig? Oder nur der Trick einer Gestaltwandlerin, die behauptete, mich geboren zu haben …«
»O Peter«, rief Seidenhand, »falls du überempfindlich und unruhig werden willst, ist dies wahrhaftig nicht der richtige Zeitpunkt.«
Ich schrie sie an, tobte wie ein Marktweib oder Eselstreiber, stieß Seidenhand vor mir her die felsige Wand hoch, bis ich sie, die nicht wußte, ob sie lachen oder weinen sollte, halb aus der Öffnung hinausgedrängt hatte. »Seid verflucht, Heilerin!« schrie ich sie an. »Von Euch verlangt ja niemand alle diese Dinge! Geht hinaus und beobachtet das Spiel! Dummes Ding! Schnatterente! Hinaus, hinaus, hinaus! Laßt mich allein …«
Mehr plumpsend als kletternd landete ich wieder auf dem Höhlenboden. Das Gesicht in die Steine gepreßt, blieb ich liegen und weinte wie ein Schloßhund, mit dem Gefühl, daß in den ganzen fünfzehn Jahren meines Lebens mich noch niemals jemand wirklich verstanden hatte.
Und danach erhob ich mich, um die Toten zu erwecken.
13
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Das Große Spiel
Um euch zu erzählen, was ich später über die Geschicke der anderen erfuhr, muß ich mich abermals verlassen. Ich muß in Himaggerys Reich zurückkehren, zum vierzehnten Tag meiner Gefangenschaft. Ein Portierer aus der Schulstadt tauchte auf, um Mertyns Ankunft anzukündigen, wenige Stunden bevor dieser selbst erschien.
Wie oft habe ich mir diese Ankunft vorgestellt! Wie König Mertyn in einem staubigen Umhang in den Burghof der Leuchtenden Domäne ritt, umgeben von Nebeln und Blütenpracht, den Reisehut vom Regen fleckig und den Bart grau vom Staub der Straße. Man bot ihm ein heißes Bad an, bevor er zu Himaggery ging, aber er lehnte ab. Als er in die Audienzhalle trat, erwartete Himaggery ihn bereits, nicht auf seinem erhöhten Platz sitzend, sondern stehend. Die Diener an den Türen waren fortgeschickt worden. Himaggery und Mertyn sahen sich in diesem Moment zum ersten Mal in ihrem Leben.
Und der König gebrauchte sein Talent. Er benutzte es, um Himaggery zu betören, mit unbezwingbarem Zauber und tödlichem Charisma. In diesem Raum, wo keine Kälte ihn von der vollen Entfaltung seines Talents abhalten konnte, gebrauchte er es, wie er es nie in seinem Leben zuvor gebraucht hatte. Das hat er mir, seinem thalan, später oft erzählt. Er setzte sein Leben ein, um den Zauberer zu betören, daß er tat, was Mertyn wollte.
Und Himaggery lachte. Er lachte, nahm Mertyn bei der Hand und führte ihn zu einem Tisch, wo er ihm eine Schüssel heißes Wasser, ein Handtuch und dampfendheißes Essen aus der Küche anbot.
»Ihr braucht mich nicht zu betören, König. Ich werde Euch auch ohne diesen Zauber helfen. Ich werde Euch helfen, weil ich glaube, daß es richtig ist, Euch zu helfen, obwohl ich mir darüber weniger sicher bin als über manche andere Dinge. Wir beide scheinen jedoch das gleiche Anliegen zu haben – nämlich für Gerechtigkeit zu sorgen.«
Mertyn war gebildeter als die meisten seines Standes. Schließlich war er, wie Himaggery auch, ein Schüler Windlows gewesen. Im Gegensatz zu Prionde, dem Hochkönig, hatte er Windlow zugehört oder sogar einiges von Windlows Lehren begriffen. Deshalb erkannte Mertyn das Wort ›Gerechtigkeit‹ sofort, als Himaggery es aussprach, und mit der Erkenntnis kam ein Gefühl des Friedens über ihn.
»Verzeiht, mein Freund«, sagte er ernst. »Verzeiht mir. Ich dachte, ich könnte meinen thalan, Peter, während seiner Kindheit beschützen. Wer weiß? Vielleicht hoffte ich, ihn sein Leben lang beschützen zu können, obwohl wir wissen, daß im Spiel solche Dinge unmöglich sind. Ich habe viele Regeln gebrochen. Daß mich die Sorge um den Jungen jetzt fast verzehrt, ist sicher der Preis dafür. Ich nannte ihn nie thalan, gab ihm nie einen Hinweis auf unsere Verwandtschaft. Ich versuchte, ihn vor diesem Kinderverderber Mandor zu warnen. Am Ende wollte ich ihn einfach nur noch retten und habe ihn dadurch vielleicht Mandor in die Hände getrieben. Habt Ihr
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