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Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant

Titel: Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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absichtlich nach Norden aufmacht, um Abenteuer zu suchen, kommen Hunderte unwissender Altersgenossen, die von Pfandleiherkarawanen aufgelesen und nach Norden verschleppt werden. Für die Schenker bedeuten die Einfältigen einen wohlfeilen Happen zwischendurch, während die Gutunterrichteten mit dem Leben davonkommen. Ich habe selbst alte Spieler mit tränenerstickter Stimme von der ›Unschuld‹ der Jugend sprechen hören. Unschuld – pah! Barer Unsinn, sollten sie es besser nennen, weg damit!« Er redete noch eine ganze Weile wütend vor sich hin, und ich unterbrach ihn nicht, denn ich hatte schon oft reizvolle Sachen erfahren, wenn ich ihn einfach vor sich hinschäumen ließ. Deshalb fragte ich ihn nicht weiter nach den Schenkern – was ich jedoch besser getan hätte.
    »Im Süden gibt es eine Bauernsiedlung«, sagte er schließlich. »Dort erfahren die Kinder nichts das Geringste über das, was mit dem anderen Geschlecht zu tun hat. Man macht ein großes Geheimnis daraus. Die Anhänger dieser Sekte glauben, daß die Unwissenheit ihre Kinder vor Leid bewahrt. Das Ergebnis ist, daß Jungfräulichkeit bei ihnen einen hohen Wert besitzt, aber so gut wie nicht vorkommt.«
    Ich glaubte ihm kein Wort, ließ die Behauptung aber einfach auf sich beruhen, während wir unseren Weg fortsetzten. Ich fragte nicht nach Schenkern oder nach den nördlichen Ländern oder nach irgend etwas anderem. Na gut. Hinterher ist man stets schlauer, das ist ja bekannt.
    Wir waren bereits mehrere Tage unterwegs, als wir eine ansteigende Hügelkette erreichten und unser Weg zur Berg- und Talfahrt wurde, höher und höher, der Pfad immer abschüssiger und steiler. Die Umgebung erinnerte mich ein wenig an die Straße, die von Windlowhaus nach Bannerwell führte, abgesehen davon, daß uns hier keine Wildnis umgab. Dörfer säumten unseren Weg, in die Berghänge hineingebaut, mit Wiesen von der Größe eines Taschentuches, die sich auf den Vorsprüngen erstreckten, und eine unendliche Reihe von Lampen, kleinen und großen, alle mit brennenden Kerzen. Schließlich erreichten wir einen hohen Paß, wo sich die Straße gabelte. Ein Weg führte abwärts nach Norden, der andere schlängelte sich in östlicher Richtung zwischen den Felskuppen entlang.
    »So«, sagte Rätsel, »wir sind in der Nähe von Betand. Die Zeit des Abschieds ist gekommen, Peter. Ich bin dankbar, daß du mir bis hierher Gesellschaft geleistet hast. Wenn du deine Augen anstrengst, kannst du von hier aus die Dächer der Stadt dort drüben im Nordwesten sehen. Ich wünsche dir alles Gute für deine Reise.«
    Der Abschied schmerzte mich. Ich war, um die Wahrheit zu sagen, vor meiner kurzen Reise von der Schulstadt nach Bannerwell nie allein gewesen, und es gefiel mir auch nicht. Ich empfand keine Angst, es war etwas anderes. Eine Art Verlorenheit, das Gefühl, der einzige meiner Art zu sein. Als ob keiner mehr da wäre, der mich als Kamerad betrachten würde. Natürlich tat die Kapuze des Nekromaten ein übriges. Wie dem auch sei, ich war froh über Rätsels Begleitung gewesen und sagte ihm das auch. Wir saßen eine Zeitlang auf der Paßhöhe und verloren nicht viele Worte, abgesehen davon, daß wir uns gegenseitig versicherten, wie ungemütlich die Weiterreise nach unserer Trennung sein würde. Schließlich fielen mir keine weiteren Höflichkeiten mehr ein, und als mir die Kehle eng wurde, tätschelte Rätsel meine Schulter.
    »Ich gehe nach Osten, nach Kiquo, zu der hohen Brücke, die erst vor kurzem wieder aufgebaut wurde, nachdem sie vor achtzig Jahren bei der großen Katastrophe zusammengestürzt war. Ich suche Geheimnisse, mein Junge. Du suchst deine eigenen Geheimnisse. Nun denn, gute Reise und viel Glück wünsche ich dir.« Und er schritt von dannen, ohne sich umzudrehen, ließ mich den nächsten Hang in Richtung Stadt hinabreiten, die ich unter mir in der tiefstehenden Nachmittagssonne liegen sah.
    Rauch lag darüber wie ein Bahrtuch, durch das die Türme aufragten wie die Schnauzen wilder Tiere, die nach Luft schnappten. Meine Augen tränten vom bloßen Anblick. Ohne den auffrischenden Abendwind wäre die Luft dick wie Suppe in der Talschüssel gewesen, in der Betand lag, die Stadt, die den Ungeborenen fürchtet.

 
3
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Betand
     
    Bis zur Stadt dauerte es mehrere Stunden. Eine leichte Brise frischte von Norden her auf, um mich zu begrüßen, als ich den Stadtrand erreichte und an den Herbergen, Karawansereien, Ställen und Gasthäusern, Tavernen und Bordellen

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