Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant
in der Wildnis verirrtes Rudel Fustigare nach Artgenossen. Der Wächter erbleichte, schlug das Zeichen gegen das Böse und hielt sich die Ohren zu, so wie ich auch, während das Jaulen zu einem schrillen, klagenden Geheule wurde, das sich höher und höher schraubte, bis es gequält abbrach. »Rasch!« Er stieß mich vorwärts. »Voran!«
Ich ging weiter. Die Frau, die auf der anderen Seite der Mauer auf uns wartete, besaß eine rundlich mütterliche Figur. Ihre Hände unter der Schürze vergraben, scheuchte sie mich vorwärts, als sei ich ihre Hausgans.
»Nun, mein Herr?« fragte sie. »Welche Art von Frauen bevorzugt Ihr? Es gibt mehrere, die diese Nacht warten. Drei von ihnen würde ich für ein bißchen zu mütterlich für Euch halten, denn Euer Gang ist der eines Jungen, gleichgültig, was für ein schreckliches Gesicht Ihr da tragt. Nekromant hin oder her, Ihr seid ein junger Bursche, oder ich will mein Waffeleisen essen. Also gut, diese drei nicht. Ich habe eine Jungfrau, die vor Angst schon ganz wirr ist. Ihr würdet mir einen Gefallen tun, wirklich, wenn Ihr diese nehmt. Nett ist sie ja, aber so ungeübt wie eine taube Nuß und plärrt es auch noch heraus …«
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprach. »Ich würde mich freuen, wenn ich Euch einen Gefallen erweisen könnte, Madam.«
»Na, wunderbar«, sagte sie, hielt an der ersten Tür und öffnete sie gerade lang genug, um hineinzurufen: »Sylbie, komm heraus, Mädchen. Niemand ist hier.«
Es dauerte eine kleine Weile, bis das Mädchen ins Freie trat, ein blasses Geschöpf mit seidigem braunem Haar und Augen, die vom Weinen ganz verquollen waren. Sie warf mir einen einzigen Blick zu und stieß einen schrillen Schrei aus, als sähe sie ein Gespenst.
»O du heilige Einfalt«, sagte die Matrone. »Sylbie, das ist doch bloß ein Gewand. Stell dich nicht so an, du hast doch schon viele Spieler in deinem Leben gesehen. Mußt du unbedingt so kreischen? Damit der junge Mann hier – denn jung ist er, das sehe ich an seinem Gang – seine Wahl gleich bereut? Du kannst gern wieder hineingehen und warten, bis einer der Viehhändler sein Saufgelage im Teufelsfuß beendet hat, falls dir das lieber ist …«
»N-n-nein, Madam Wilderly«, stotterte das Mädchen. »Es kommt nur so plötzlich …«
Genau in diesem Augenblick setzte das Gejaule wieder ein, und wir drückten uns alle drei gegen die Mauer, als es mit hohem, schrillem Klagen durch die leeren Straßen und über uns hinwegjagte, um dann zwischen den belebten Gäßchen wieder zu verschwinden. Der Ton war grauenhaft.
»Der Ungeborene«, sagte die Matrone erklärend. »Bei uns spukt es, mein Herr, wie Ihr wohl schon gehört habt.«
»Ja«, erwiderte ich mühsam. Es stimmte zwar, daß ich davon gehört hatte, aber die Wirklichkeit übertraf die Erzählung bei weitem. Wenn ich diesem Gejaule noch lange zuhören mußte, würde ich bestimmt den Verstand verlieren. Die Matrone unterbrach mit ihren Anweisungen meine Gedanken.
»Hier hinein, werter Herr, Sylbie … Die Treppe hoch … Oben links findet Ihr ein hübsches Zimmerchen, vom Feuer gewärmten Wein und einen Happen zum Abendessen, damit Ihr Euch aneinander gewöhnt. Die Hebamme wird morgen früh vorbeischauen, um zu sehen, ob das Gesetz erfüllt worden ist.« Und mit diesem Worten entschwand sie wie der Blitz die Straße hinunter in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Das Mädchen führte mich die Treppe hoch. Ich wunderte mich immer noch, was hier eigentlich vor sich ging. Sie schien es jedoch zu wissen, und so nahm ich an, daß sie es mir erzählen würde. Außerdem konnte ich mir in dem Zimmer die Totenkopfmaske abnehmen, das Gesicht waschen, und ihr so ein Antlitz zeigen, vor dem sie sich nicht erschrecken mußte. Ich tat es, und als ich das Handtuch weglegte, reichte sie mir ein Glas Wein. Sie weinte nicht mehr, sah aber immer noch verängstigt aus.
»So«, sagte ich. »Du wirst mir jetzt hoffentlich sagen, was für ein Spiel hier gespielt wird, Sylbie. Ich tue dir nichts Böses, also hör auf, mich mit solchen Rehaugen anzuglubschen.«
»Wißt Ihr es denn nicht?« fragte sie. »Ich dachte, jedermann weit und breit wüßte über Betand Bescheid.«
»Na, ich jedenfalls nicht. Sogar der Mann, mit dem ich reiste, hatte zwar von dieser Stadt gehört, kannte aber die Hintergründe ihrer Berühmtheit nicht. Dort, wo ich herkomme, nennt man Betand die ›Stadt, die den Ungeborenen fürchtet‹. Nicht sehr
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