Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
Trandilar ruhten noch auf ihren Podesten. Und Barish. Ich stand da und schaute auf ihn herab, den einsamen Blauen in meiner Tasche betastend.
Jetzt, da ich alle anderen aufgegeben hatte, schien es mir verwerflich, Windlow bei mir zu behalten, verwerflich, ihn als einzigen gefangenzuhalten. Er besaß keinen eigenen Körper. Dieser war verbrannt und mit dem Berg der Zauberkünstler zerstört worden. Barish besaß keinen Blauen. Dieser war in irgendeinem anderen Körper verschwunden oder vielleicht durch die Maschine zerstört worden. Warum nicht die beiden zusammenbringen? Dann konnte Windlow wenigstens wieder leben, lange leben, und war nicht schlechter dran als jetzt. Der Körper würde fremd sein, aber es war gewiß besser, einen fremden Ort zu besuchen, als überhaupt nicht zu leben. Seidenhand und ich befanden uns allein in dem Gewölbe. Die anderen waren nach draußen gegangen, um nach Huld Ausschau zu halten oder Pläne zu schmieden und Strategien zu entwickeln, wie wir den Berggipfel verlassen konnten, ohne den Rest der Welt Hulds Zorn preiszugeben.
Ich rief Seidenhand zu mir und zeigte ihr Windlows Blauen in meiner Hand. Meine Augen glitten über Barishs Körper.
Sie reagierte wie ich auch, während ihre Augen hin und her wanderten. »Warum nicht?« sagte sie. »Komm, wir tun es, bevor jemand erscheint und Einwände erhebt.«
»Vielleicht lebt er nur kurze Zeit und kommt bei dem Kampf um, der uns droht«, warnte ich sie.
»Dann ist er zumindest wirklich tot«, erwiderte sie bitter. »Nicht verloren in der Gletscherspalte eines Berges, weder lebendig noch tot, vielleicht mit derselben Angst, die Thandbar fühlte.«
Ich nickte, nahm Windlows Blauen in die Hand und umschlang Seidenhand mit meinen Armen, während sie ihre Hände auf Barishs Kopf legte.
Ein Mahlstrom tat sich auf. Nichts, was vorher geschehen war, hatte mich auf etwas Derartiges vorbereitet. Windlow barst in mich hinein wie eine Flut, wie ein mächtiger reißender Strom, der sich in einen Abgrund ergießt. Und da war noch etwas anderes, einer Flutwelle gleich, die auf die Ausläufer eines Flusses trifft, Wellen, die weißschäumend aufeinanderprallten und zerschellten, sich umrundeten, in unentwirrbaren Wogen, Schüben, Überschwemmungen vermischten. Städte stürzten in meinem Kopf zusammen; Flüsse rissen mächtige Barrikaden nieder; jahrtausendealte Bäume fielen zerschmettert zu Boden. Eine endlose Parade von Gesichtern passierte meinen Kopf. Die Sonne zog eine einzelne glitzernde Kurve über den Himmel, flackerte zwischen Finsternis und Licht, als Tag und Nacht vorbeirasten. Dann verlangsamte sich der Kampf, und ich spürte, wie sich in der Flutwelle Dinge über die Wellen erheben wollten, sich über dem Wasser festigten und wie Boote schaukeln wollten, bis schließlich alles durchsichtig und ruhig auf der steten Bewegung dessen ruhte, was immer auch darunter lag. Windlows Blauer war verschwunden. Seidenhand lehnte sich erschöpft in meiner Umarmung.
Ich hörte, wie jemand den Raum betrat, erkannte Queynts Schritt, war aber zu angespannt, um mich umzuwenden, als ich ihn tief Luft holen hörte.
Die Gestalt vor mir auf dem Podest öffnete die Augen. Jemand hinter diesen Augen lächelte mir ins Gesicht und fragte: »Peter?« Dann blickte dieser jemand – oder war es jemand anderes? – über meine Schulter und sagte zu Queynt: »Vulpas?« Ich spürte, wie ich weggestoßen wurde, als Vitior Vulpas Queynt an die Seite seines Bruders trat.
Sein Bruder.
Mein Freund.
Windlow.
Barish.
Ein und derselbe.
12
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Die Knochentänzer von Huld
»Ihr habt ihn die ganze Zeit bei euch getragen!« Queynt fuhr zu mir herum, als wollte er mich schlagen.
Eine Stimme ertönte von dem Podest, zittrig lachend, aber es war nicht Windlows Stimme, jedenfalls nicht ganz. Das Sprachmuster und die Betonung waren anders. Sie klang nicht so friedfertig, nicht so sanftmütig. »Aber, Vulpas! Er wußte nicht, daß er mich besaß. Der arme Junge … Und er hatte auch nicht viel von mir – oder alles von mir, je nachdem wie du’s betrachtet. Er wußte es nicht. Windlow wußte es nicht.«
Queynt wandte sich wieder der Stimme zu, die ihm vertrauter schien als mir. »Windlow?«
Langes Schweigen. Ich schaute auf den Körper auf dem Podest, der eng in seine Zauberrobe gehüllt war. Er hatte sich noch nicht bewegt, schien eher unschlüssig, ob er es überhaupt konnte. Eine Hand machte eine kleine, schlaffe Bewegung; ein Fuß zuckte. Die Augen schauten
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