Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
Körper und Blauem ist nicht so vollständig, wie wir dachten, Peter, denn irgendein denkender Teil von Thandbar entkam, entfloh seinem Körper, der hier in der kalten Einöde von Bleer ruht, und durchwanderte die Welt auf der Suche nach Hilfe. Darin liegt ein Hinweis, den wir nicht erkennen. Bitte, Peter, hilf mir nachdenken.«
»Wahrscheinlich hat es etwas mit der Kälte zu tun«, murmelte ich, einen Bissen Brot kauend. »In den Schulhäusern hielten wir die Blauen immer kühl. In meiner Tasche blieben sie aber nicht mehr kühl. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. Vielleicht ist es nur natürlich, daß sie sich wieder verbinden, und die Maschine unterstützt diesen Prozeß nur …«
»Was macht die Maschine, Peter?«
»Oh.« Ich erinnerte mich an frostige Drähte und verschlossene Gehäuse, unentwirrbare kristallene Muster, in denen ich mich verirrt hatte. »Sie wärmt den Körper, wärmt den Blauen, liest den Blauen und überträgt, was sie gelesen hat, in den Körper. Nachdem ich das Innenleben der Maschine gesehen habe, könnte ich diese Arbeit übernehmen. Mit Didirs Hilfe kann ich sicher den Blauen LESEN. Und Shattnir kann mir helfen, Wärme zu erzeugen. Aber ich weiß nicht, wie man das Ganze in den Körper zurückübertragen soll. Es scheint mir ein Rätsel …«
»Ich kann den Körper LESEN«, sagte Seidenhand. »Wenn du dich mit mir verknüpfst, wie sie sich in der Leuchtenden Domäne verknüpft haben, als sie dich suchten. Wie sich Tragamore manchmal verbinden, um ihre Stärke zu vervielfachen.«
Ich schauderte, denn eine solche Verknüpfung war genau das, was Mandor und Huld in Bannerwell von mir verlangt hatten – von mir oder Mavin. Aber hier diente es keinem bösen Zweck. Ich brauchte eine Weile, um mich hineinzufinden, aber als wir einmal begonnen hatten, schien es wie von selbst zu gehen. Es war zwar nicht so einfach, wie es klingt, aber doch viel einfacher, als ich erwartet hatte.
Zuerst kam Shattnir, die soviel Wärme, wie sie nur konnte, vom Sonnenlicht speicherte, es zu uns brachte und das Gewölbe erwärmte. Dann kam Didir. Ich übertrug ihr Muster ohne Umschweife in meinen Kopf, sagte ihr, was wir vorhatten und bat sie, bei mir zu bleiben und mir den Weg zu weisen.
Daraufhin nahm ich Thandbars Blauen in die Hand, legte meine Arme fest um Seidenhand, und sie legte die Hände auf Thandbars Kopf. Er erschien in meinen Gedanken und begrüßte mich mit einer solchen Freude, daß es mich wie eine Woge durchfuhr, eine wortlose, überschäumende Freude, die Begeisterung eines befreiten Gefangenen, der Freudentaumel eines eingesperrten Wesens, dessen Käfig geöffnet wurde. »Frei«, hörte ich ihn in meinem Kopf murmeln. »Frei.«
Ich erinnerte mich daran, daß das einer seiner Namen war, und wußte im selben Augenblick, welche innere Qualität es gewesen war, die ihn befähigt hatte, aus diesem kalten Gewölbe zu fliehen und die Welt zu durchwandern. Seine Wandlerseele konnte nicht eingekerkert werden, war nicht eingekerkert worden. Ich hatte aber keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn mit Didirs Muster fest in meinem Kopf begann ich ihn zu LESEN, Funke nach Funke, ein zitterndes Netzwerk nach dem anderen, während ich meine Wärme zu den eingefrorenen Kreisläufen seines Wesens sandte und diesen Kreisläufen folgte und Seidenhand sie von mir LAS und sie wiederum in den Körper, der vor ihr lag, übertrug.
Die Zeit verging. Es schienen Stunden, Tage. Bilder tanzten durch meinen Kopf. Ich sah Schlaizy Noithn, hell in der Nachmittagssonne, wo Thandbar mit einer Liebsten wandelte. Ich sah ferne Berge wie von der Höhe eines Nebelriesen aus. Ich hörte Musik, nicht nur das Windlied, das ich kannte, sondern Generationen von Glocken und Flöten in den hochgelegenen, wilden Ländern der Schattenmenschen. Ich wurde zu Baum, Berg, Straße, zu einer ganze Legion wilder Tiere, die ich niemals zuvor zu Gesicht bekommen hatte und nicht kannte. Zu Thandbars Zeiten hatten sie näher bei den Menschen gelebt. In den darauffolgenden Jahrhunderten waren sie geflohen.
Ich sah Erinnerungen an Barish: Barish beim Dozieren; Barish, der mit der Faust auf den Tisch klopfte; Barish lachend. Barish, der schmeichelte. Ich fühlte Abscheu vor den Dingen, die manche Spieler taten, Ekel, Wut, und merkte, wie Barish diesen Abscheu und Ekel zu seiner Waffe gemacht hatte. In Thandbars Innerem hörte ich Barish sagen: ›Wir werden sie heute in den Boden pflanzen, damit wir in der Zukunft eine prachtvolle
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