Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
großmutterhaft, sondern immer noch jung und geschmeidig. »Peter«, sagte sie und blickte mir geradewegs in die Augen, »es ist jetzt nicht die richtige Zeit, dir zu danken. Sei aber versichert, daß es nicht in Vergessenheit geraten wird.« Sie umarmte mich und küßte mich wie eine Mutter es tun würde (wie Mavin mich nie geküßt hatte, soweit ich mich erinnerte), und dann ging sie fort, um Kraft zu sammeln und eine alte Zwistigkeit zwischen ihr und Dealpas zu bereinigen. Als beide zurückkamen, waren sie bereit weiterzuarbeiten, und ich hörte Dealpas niemals wieder klagen.
Die beiden begannen mit Shattnir, die sich erhob, wie sie geschlafen hatte, kerzengerade und mit einem Ruck, gerade als ob sie sich die Nacht zuvor erst hingelegt hätte. Ich bemerkte ihren scharfen Blick auf mich und daß sie mich erkannte, worüber ich aber nicht überrascht war. In diesen Blauen hatte mehr Leben gesteckt, als ich gewußt hatte. Sie hatten sich verändert, während sie bei mir, in mir gewesen waren.
Sie hatten mich benutzt wie ich sie benutzt hatte, und ich betete, als ich ihren Blick sah, daß sie diesen Handel nachträglich guthieß. Dann schenkte sie mir ein rasches, spöttisches Lächeln – nichts an Shattnir wirkte jemals ganz und gar menschlich – und ging ihres Weges.
In der Zwischenzeit hatten Seidenhand und ich Dorn geweckt. Da ich nun schon Erfahrung hatte, brauchte ich Didirs Hilfe nicht mehr, sondern konnte den Blauen von Dorn LESEN wie ein vertrautes Buch. Es gab Überraschungen, ja, vor allem in den Erinnerungen aus seiner Jugend; es gab Schrecken, als er sein Talent entdeckte und es zu gebrauchen lernte, aber trotzdem war mir der größte Teil von ihm vertraut, und als er sich schließlich erhob, begrüßte er mich mit Namen.
»Ihr erkennt mich?« murmelte ich.
»Natürlich, Peter! Bin ich nicht in deinem Kopf herumspaziert wie ein Bauer auf seinen Feldern? Haben wir nicht zusammen die Geister gerufen?«
»Ich wußte nicht, daß Ihr Euch daran erinnert«, sagte ich kleinlaut, mich an Dinge erinnernd, von den ich lieber gehabt hätte, er würde sie nicht wissen.
»Warum sollte ich mich nicht an einen Freund erinnern?« fragte er mich und zog mich in eine Umarmung. Was ich in diesem Augenblick für Dorn fühlte, hatte ich für Mertyn oder Himaggery nie gefühlt. Ich hatte diese beiden nie so gut gekannt wie Dorn. Vielleicht hatte er etwas Wichtiges in mir geformt, wie ein bäurischer Vater etwas in seinem Sohn formt oder ein liebender thalan, der das Kind seiner Schwester von Geburt an kennt. Es stimmte, was Dorn sagte. Ich erinnerte mich an ihn als einen Freund. Er hatte niemals etwas getan, was mich verletzt hätte, nicht einmal, wenn es für mich zum Besten gewesen wäre, und deshalb gab es keine Bitterkeit zwischen uns.
Dann weckten Dealpas und ich Buinel auf, während Seidenhand sich ausruhte und Didir sich die Zeit nahm, alles zu ergründen, was passiert war. Ich fühlte, wie sich ihre suchenden Gedanken ausstreckten, und, wie ich annahm, Huld suchten. Es war nicht schwer, Buinel zu wecken, nur langweilig. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie jemanden getroffen, der so entschlossen jeden spontanen Gedanken oder jede unbedachte Regung erstickte wie Buinel es tat. Er suchte überall nach Regeln, und er wollte sie in Bronze gegossen oder in Stein gehauen, um erkennen zu können, daß es sich nicht um vorübergehende Dinge handelte. Nun, Dealpas und ich hielten durch, sie den Mund abweisend und immer noch ärgerlich verzogen. Als wir ihn endlich wach hatten, erfaßte ihn ein tiefes Mißtrauen über unsere Beweggründe, so daß wir ihn Dorn und Queynt übergaben. Wenn sie ihn nicht zur Ruhe brachten, war es mir auch gleich, obwohl ich ihm viel dafür schuldete, daß er uns vor dem Ghul gerettet hatte. Dann kehrten Seidenhand und Didir zurück und weckten Hafnor, Wafnor und Tamor, einen nach dem anderen, in immer kürzerer Zeit. Durch die Übung wurde die Sache von Mal zu Mal einfacher. Wafnor breitete herzlich aus der Ferne die Arme nach mir aus, sein stämmiger Körper krachte, als er sich dehnte und streckte, um in wenigen Minuten die Steifheit von Jahrhunderten zu vertreiben. Hafnor winkte mir neckend zu. Wenn er mehr Kraft besessen hätte, hätte er bestimmt etwas Verrücktes, Jungenhaftes getan, aber er mußte sich erst in der Sonne aufwärmen. Hier gab es nur die Wärme, die Shattnir von Zeit zu Zeit zu uns herunterbrachte.
Dann waren Seidenhand und ich wieder allein. Nur Sorah und
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