Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
üblichen Sinne. Mir fehlt alles, was man als Unterbewusstsein bezeichnen könnte, und ich kontrolliere die regenerativen Funktionen meines Gehirns; daher sind die üblichen REM-Schlafphasen überflüssig geworden. In manchen Momenten entgleitet mir die Kontrolle über meinen Verstand, doch das kann man kaum Träume nennen. Meta-Halluzinationen vielleicht, die reine Folter. In diesen Phasen ist es, als würde ich aus mir heraustreten: Ich verstehe dann, wie mein Geist die seltsamen Visionen hervorbringt, doch dabei bin ich wie gelähmt und unfähig zu reagieren. Ich kann das, was ich sehe, kaum zuordnen – Bilder, die auf bizarre, transfinite Weise auf sich selbst verweisen, und Modifikationen, die selbst für mich keinen Sinn ergeben.
Mein Geist bringt mein Gehirn an seine Grenzen. Eine biologische Struktur dieser Größe und Komplexität kann eine sich selbst erkennende Psyche kaum aufrechterhalten. Allerdings reguliert sich eine solche Psyche bis zu einem gewissen Grad auch selbst. Ich lasse meinen Geist von allem Gebrauch machen, was ihm erreichbar ist, und hindere ihn daran, darüber hinauszugehen. Aber es ist schwer: Ich bin in einen Bambuskäfig gepfercht, in dem ich weder sitzen noch stehen kann. Versuche ich, mich zu entspannen oder mich zu voller Größe aufzurichten, sind Wahnsinn und Höllenqualen die Folge.
Ich halluziniere. Ich sehe, wie mein Geist sich die möglichen Konfigurationen vorstellt, die er annehmen könnte, und gleich darauf sehe ich ihn kollabieren. Ich werde Zeuge meiner eigenen Wahnvorstellungen, meiner Visionen der Formen, die mein Geist annehmen könnte, wenn ich einmal die letzten Gestalten begreifen werde.
Werde ich das ultimative Ich-Bewusstsein erreichen? Kann ich die Bestandteile finden, aus denen die Gestalten meines Geistes bestehen? Würde ich das Artengedächtnis durchdringen? Würde ich auf ein angeborenes Wissen über Moralität stoßen? Womöglich finde ich heraus, ob Geist spontan aus Materie entstehen kann, und verstehe, in welcher Beziehung zum Universum das Bewusstsein steht. Womöglich erkenne ich, wie Subjekt und Objekt miteinander verschmelzen können: die Erfahrung des Nirwanas.
Oder vielleicht komme ich zu dem Schluss, dass man die Geist- Gestalt nicht erzeugen kann und dafür ein Eingriff nötig ist. Vielleicht erblicke ich irgendwann die Seele, den Teil des Bewusstseins, der über die Physis hinausgeht. Ein Gottesbeweis? Dann würde ich die Bedeutung und das wahre Wesen der Existenz schauen.
Dann wäre ich erleuchtet. Es muss eine rauschhafte Erfahrung sein ...
Ich falle zurück in den Zustand geistiger Gesundheit. Ich muss mein Ich härter an die Kandare nehmen. Wenn ich ihn auf der Ebene der Meta-Programmierung beherrsche, regeneriert mein Geist sich auf perfekte Weise selbst; ich kann mich dann auch aus Zuständen, die dem Wahnsinn oder der Amnesie sehr ähnlich sind, vollständig wiederherstellen. Wenn ich mich während der Meta-Programmierung allerdings zu weit treiben lasse, könnte mein Geist an Stabilität verlieren, und dann würde ich in einen Zustand verfallen, der über Wahnsinn hinausgeht. Ich werde meinen Geist so programmieren, dass er den Bereich, in dem er sich noch umprogrammieren kann, erst gar nicht verlässt.
Die Halluzinationen bestärken mich in meinem Entschluss, ein künstliches Gehirn zu erschaffen. Allein damit werde ich in der Lage sein, jene Gestalten wirklich wahrzunehmen, anstatt nur von ihnen zu träumen. Um zur Erleuchtung zu gelangen, müssen auch die Analoga der Nervenzellen eine kritische Masse überschreiten.
Ich schlage die Augen auf: Es sind zwei Stunden, achtundzwanzig Minuten und zehn Sekunden vergangen, seit ich sie geschlossen habe, um auszuruhen; geschlafen habe ich nicht. Ich stehe vom Bett auf.
An meinem Terminal sehe ich nach, wie meine Aktien stehen. Ich blicke auf den Bildschirm und erstarre.
Überdeutlich schreit er mir die Tatsache entgegen, dass da noch eine andere Person mit einem erweiterten Geist ist.
Fünf Aktien, in die ich investiert habe, sind gefallen; nicht besonders stark, aber doch so sehr, dass ich es an der Körpersprache der Börsenmakler hätte bemerken müssen. Die Anfangsbuchstaben der Firmen mit den Aktienverlusten sind der Reihe nach: C, E, G, O und R. Stellt man sie um, ergeben sie das Wort GRECO.
Jemand schickt mir eine Botschaft.
Da draußen ist noch jemand wie ich. Es muss noch einen weiteren Komapatienten gegeben haben, der eine dritte Injektion von Hormon K bekommen hat. Er
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