Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
existierenden Versionen war. In den Gesellschaften der Nomenklatoren schwieg man sich darüber aus, doch dieses Epitheton war eines der am gründlichsten erforschten; es hieß, erstmals sei es in alttestamentarischer Zeit benutzt worden, als Josephs Brüder einen weiblichen Golem schufen, mit dem sie alle geschlechtlichen Verkehr haben konnten, ohne dabei gegen die geltenden Gesetze zu verstoßen, die einen derartigen Umgang mit Frauen verboten. Jahrhundertelang war das Epitheton im Geheimen weiter entwickelt worden, vorwiegend in Konstantinopel, und die neuesten Versionen von Kurtisanen-Automaten wurden inzwischen in eigens darauf spezialisierten Londoner Bordellen feilgeboten. Diese Automaten wurden aus Speckstein geschnitzt und auf Hochglanz poliert, man erwärmte sie auf Körpertemperatur und rieb sie mit duftenden Ölen ein, und sie erzielten Preise, die nur von denen für Incubi und Succubi übertroffen wurden.
Dies war der wenig edle Nährboden, auf dem ihre Forschung gedieh. Die Namen, durch die die Kurtisanen belebt wurden, beinhalteten mächtige Epitheta für menschliche Sexualität in ihrer männlichen und weiblichen Form. Die Nomenklatoren hatten die Fleischeslust herausgearbeitet, die beiden Versionen gemeinsam war, und auf diese Weise Epitheta für die männliche und weibliche Sexualität isoliert, die weitaus präziser waren als ihre Entsprechungen im Tierreich. Dies war der Keim, aus dem heraus sie ihre Namen entwickelten.
Mit der Zeit hatte Stratton genug gelernt, um sich an den Tests möglicher menschlicher Namen zu beteiligen. Sie arbeiteten in Gruppen zusammen, teilten aber den gewaltigen Baum potenzieller Namen untereinander auf. Dazu wählten sie einige Äste zur genaueren Untersuchung aus, schnitten diejenigen weg, die sich als unfruchtbar erwiesen, und kultivierten die vielversprechendsten.
Die Nomenklatoren bezahlten Frauen – gewöhnlich junge, gesunde Dienstmädchen – für ihre Menses, um daraus menschliche Eizellen zu gewinnen, denen sie dann ihre Versuchsnamen einprägten. Diese untersuchten sie anschließend unter dem Mikroskop, auf der Suche nach etwas, das einem menschlichen Fötus glich. Stratton wollte wissen, ob es nicht die Möglichkeit gab, Eizellen aus weiblichen Megaföten zu gewinnen, doch Ashbourne erinnerte ihn daran, dass Eizellen nur dann brauchbar waren, wenn sie von einer lebenden Frau stammten. Es war ein Grundgesetz der Biologie: Von den Frauen kam das vitale Prinzip, das dem Nachwuchs Leben spendete, während die Männer die Rohform beisteuerten. Aufgrund dieser Aufgabenteilung war keines der beiden Geschlechter in der Lage, sich alleine fortzupflanzen.
Von dieser Beschränkung freilich hatte Ashbournes Entdeckung sie befreit: Da die Gestalt auf lexikalische Weise beigefügt werden konnte, war eine männliche Beteiligung nicht mehr notwendig. Sobald man einen Namen fand, der menschliche Föten erzeugte, würden Frauen sich alleine fortpflanzen können. Stratton war klar, dass Frauen mit sexueller Inversion, die eher Liebe für das eigene Geschlecht empfanden als für das andere, eine solche Entdeckung sicher begrüßen würden. Falls der Name solchen Frauen zugänglich war, würden sie womöglich eine Gemeinschaft bilden, die sich durch Parthenogenese fortpflanzte. Würde eine solche Gesellschaft, in der die höhere Empfindsamkeit des sanften Geschlechts verstärkt wurde, gedeihen, oder würde sie unter der zügellosen Krankhaftigkeit ihrer Mitglieder zerbrechen? Das ließ sich unmöglich sagen.
Bevor Stratton dazugestoßen war, hatten die Nomenklatoren Namen entwickelt, die in einer Eizelle entfernt homunkulusähnliche Gebilde generierten. Mit den Verfahren von Dubuisson und Gille vergrößerten sie die Gebilde so weit, dass man sie genau untersuchen konnte; die Gebilde ähnelten mehr Automaten als Menschen, und ihre Glieder endeten in Schaufeln mit darin angedeuteten Fingern. Durch die Beifügung seiner Geschicklichkeits-Epitheta gelang es Stratton, die Finger voneinander zu lösen und die Gebilde äußerlich insgesamt weiterzuentwickeln. Unterdessen betonte Ashbourne immer wieder, dass sie unkonventionelle Wege gehen müssten.
»Bedenken Sie den thermodynamischen Aspekt bei fast allen automatischen Abläufen«, sagte Ashbourne während einer ihrer zahlreichen Diskussionen. »Die Maschinen in den Minen schürfen Erz, die Erntemaschinen ernten Weizen, die Holzfällermaschinen fällen Holz – aber von keiner dieser Aufgaben, so nützlich sie auch in unseren
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