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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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der Anfertigung des Körpers würde der nächste Schritt darin bestehen, diesen durch einen Namen zu beleben. »Verleiht Ihr Epitheton die Fähigkeit, schreiben zu können?« Sein eigener Automat konnte einen Stift zwar problemlos in die Hand nehmen, aber nicht einmal die einfachsten Dinge schreiben. »Wie kann ein Automat die für die Schreibkunst erforderliche Geschicklichkeit besitzen, aber nicht in der Lage sein, mit Gussformen zu hantieren?«
    Roth schüttelte bescheiden den Kopf. »Mein Epitheton führt nicht zum Schreiben oder ganz allgemein zu manueller Geschicklichkeit. Es befähigt einen Golem nur dazu, den Namen zu schreiben, der ihn belebt.«
    »Ah, ich verstehe.« Es verlieh also nicht die Fähigkeit, bestimmte Dinge zu erlernen; es führte zu einer einzelnen, angeborenen Fähigkeit. Stratton vergegenwärtigte sich die nomenklatorischen Verrenkungen, die nötig waren, um einen Automaten instinktiv eine bestimmte Buchstabenfolge schreiben zu lassen. »Sehr interessant, aber ich vermute, dafür gibt es keinen großen Anwendungsbereich, oder?«
    Roth lächelte gequält; Stratton wurde klar, dass er einen Fauxpas begangen hatte und der Mann sich bemühte, freundlich zu bleiben. »Das ist eine mögliche Betrachtungsweise«, räumte Roth ein, »aber wir sehen das anders. Für uns liegt der Wert dieses Epithetons wie der jedes anderen nicht darin, dass er einen Golem nützlicher macht, sondern in dem ekstatischen Zustand, den wir durch es erlangen können.«
    »Selbstverständlich. Und Ihr Interesse an meinen Geschicklichkeits-Epitheta hat dasselbe Motiv?«
    »Ja. Ich hoffe darauf, dass Sie uns Ihre Epitheta geben.«
    Noch nie hatte Stratton davon gehört, dass ein Kabbalist eine solche Bitte geäußert hatte, und ganz offensichtlich fiel es Roth nicht leicht. Stratton schwieg und dachte nach. »Muss ein Kabbalist eine bestimmte Stufe erreichen, um über die mächtigsten Epitheta zu meditieren?«
    »Ja, auf jeden Fall.«
    »Dann beschränken Sie den Zugang zu den Namen also.«
    »O nein, bitte entschuldigen Sie das Missverständnis. Den ekstatischen Zustand durch einen Namen erreicht man erst, nachdem man die notwendigen Meditationstechniken gemeistert hat, und es sind diese Techniken, die streng gehütet werden. Ohne die vorgeschriebene Ausbildung könnte ihr Gebrauch zu Wahnsinn führen. Die Namen selbst hingegen, auch die mächtigsten von ihnen, haben für den Novizen keinerlei ekstatischen Wert; sie können Ton beleben, weiter nichts.«
    »Weiter nichts«, stimmte Stratton zu und dachte, wie unterschiedlich sie die Dinge doch sahen. »Ich fürchte, in diesem Fall kann ich Ihnen die Nutzung meiner Namen nicht gestatten.«
    Roth nickte missmutig, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. »Sie möchten fürstlich bezahlt werden.«
    Jetzt war es Stratton, der über den Fauxpas seines Gegenübers hinwegsehen musste. »Es geht mir nicht um Geld. Aber ich habe mit meinen fingerfertigen Automaten gewisse Pläne, für die ich die Kontrolle über das Patent behalten muss. Ich darf diese Pläne nicht gefährden, indem ich die Namen für jedermann freigebe.« Gewiss, während der Arbeit unter Lord Fieldhurst hatte er sie an die Nomenklatoren weitergegeben, aber das waren allesamt Ehrenmänner, die sich zu einer noch größeren Schweigepflicht verpflichtet hatten. Den Mystikern vertraute er da weniger.
    »Ich kann Ihnen versichern, dass wir ihren Namen nur für ekstatische Praktiken nutzen würden.«
    »Bitte verzeihen Sie; ich glaube Ihnen, dass Sie aufrichtig sind, aber das Risiko ist zu groß. Alles, was ich Ihnen geben kann, ist der Hinweis, dass das Patent nur für eine begrenzte Zeit gültig ist; danach haben Sie das Recht, den Namen nach Belieben zu nutzen.«
    »Aber das wird noch Jahre dauern!«
    »Gewiss haben Sie Verständnis dafür, dass ich auch auf die Interessen anderer Menschen Rücksicht nehmen muss.«
    »Ich sehe einzig und allein, dass wirtschaftliche Erwägungen die spirituelle Erweckung behindern. Es war mein Fehler, etwas anderes zu erwarten.«
    »Das ist wohl kaum gerecht«, protestierte Stratton.
    »Gerecht?« Roth bemühte sich sichtlich, seinen Zorn im Zaum zu halten. »›Nomenklatoren‹ wie Sie stehlen Techniken, die dazu bestimmt sind, Gott zu ehren, und gebrauchen sie, um sich selbst zu erhöhen. Durch Ihr ganzes Gewerbe werden die Methoden der Jezirah käuflich. Sie sind wohl kaum in der Position, von Gerechtigkeit zu sprechen.«
    »Hören Sie …«
    »Danke für das Gespräch.« Damit

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