Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
Abend in Darrington Hall hatte ihn aus der Bahn geworfen, und heute war er früher als sonst nach London zurückgekehrt, damit er möglichst nicht auf Lord Fieldhurst traf, solange er fürchten musste, dass sein Gesicht seine wahren Gefühle widerspiegelte.
Er dachte an die Unterhaltung zurück, in der er und Ashbourne erstmals erwogen hatten, ein Epitheton zur Erschaffung von zwei Ordnungsebenen herauszuarbeiten. Damals hatte er ein paar Versuche gemacht, ein solches Epitheton zu finden, doch wegen des untergeordneten Charakters dieses Unterfangens waren es eher beiläufige Bemühungen gewesen, die zu nichts geführt hatten. Inzwischen hing die Messlatte höher: Ihr früheres Ziel reichte nicht aus, zwei Generationen schienen das Mindeste, das gerade noch vertretbar war, und jede zusätzliche Generation würde von unschätzbarem Wert sein.
Wieder grübelte er über die thermodynamische Wirkung seiner fingerfertigen Namen nach: Die Ordnung auf der thermalen Ebene brachte den Automaten in Gang, der dadurch Ordnung auf sichtbarer Ebene erzeugen konnte. Ordnung, die Ordnung hervorbrachte. Ashbourne hatte den Gedanken geäußert, die nächste Ordnungsebene könnten Automaten sein, die koordiniert zusammenarbeiteten. War das möglich? Um wirklich zusammenarbeiten zu können, würden sie kommunizieren müssen, aber Automaten waren von Natur aus stumm. Welche Möglichkeiten gab es für Automaten sonst noch, sich an komplexem Verhalten zu beteiligen?
Plötzlich merkte er, dass er die Coade-Manufaktur erreicht hatte.
Inzwischen war es dunkel, doch er würde den Weg zu seinem Büro auch so finden. Stratton schloss die Eingangstür auf. Er ging durch die Galerie und an den Büroräumen vorbei. Als er zu dem Gang kam, von dem die Büroräume der Nomenklatoren abgingen, sah er Licht hinter dem Milchglasfenster seiner Tür. Er hatte doch gewiss nicht die Gaslampe brennen lassen? Er schloss auf und erschrak.
Vor dem Schreibtisch lag bäuchlings auf dem Boden ein Mann, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Stratton trat rasch zu ihm hin und besah ihn sich näher. Es war Benjamin Roth, der Kabbalist, und er war tot. Stratton erkannte, dass mehrere Finger des Mannes gebrochen waren; man hatte ihn gefoltert, bevor man ihn umgebracht hatte.
Bleich und zitternd richtete Stratton sich auf und sah, dass sein Büro vollkommen verwüstet war. Seine Regale waren leer, überall auf dem Eichenfußboden lagen die Bücher mit dem Rücken nach oben. Sein Schreibtisch war ausgeräumt, daneben lagen ausgeleert und kopfüber aufgestapelt die Schubladen mit den Messinggriffen. Eine Spur verstreuter Papiere führte zur Tür seines Ateliers, die offen stand; benommen ging Stratton weiter, um zu sehen, was dort angerichtet worden war.
Sein fingerfertiger Automat war zerstört worden; die untere Hälfte lag auf dem Boden, der Rest war zerschmettert, nur noch Gipsbrocken und Staub waren davon übrig. Die tönernen Modelle der Hände lagen platt gedrückt auf dem Arbeitstisch, und die Zeichnungen mit ihren Entwürfen waren von den Wänden heruntergerissen worden. Die Bottiche, in denen Gips angemischt wurde, waren bis obenhin voll mit den Papieren aus seinem Büro. Stratton betrachtete sie näher und sah, dass jemand sie mit Lampenöl übergossen hatte.
Er hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich zum Büro um. Die Tür zum Gang wurde zugestoßen, und dahinter kam ein breitschultriger Mann zum Vorschein; er hatte schon dort gestanden, als Stratton eingetreten war. »Schön, dass Sie kommen«, sagte der Mann. Er musterte Stratton mit dem Blick eines Raubtiers – dem Blick eines Mörders.
Stratton stürzte durch die Hintertür des Ateliers hinaus und den rückwärtigen Gang entlang. Hinter sich hörte er, wie der Mann die Verfolgung aufnahm.
Er floh durch das dunkle Gebäude, durch Werkstätten voller Koks und Eisenplatten, Schmelztiegel und Gussformen, alles vom Mondlicht beschienen, das durch die Dachfenster hereinfiel; er hatte den Abschnitt der Fabrik erreicht, in dem sich die Metallgießerei befand. Im nächsten Raum blieb er stehen, um wieder zu Atem zu kommen, und da wurde ihm bewusst, wie laut seine Schritte widerhallten; wenn er schlich, würde ihm die Flucht eher gelingen. Er hörte, wie die Schritte seines Verfolgers in einiger Entfernung verstummten; der Mörder hatte ebenfalls seinen Gang verlangsamt.
Stratton sah sich nach einem geeigneten Versteck um. Überall um ihn herum standen gusseiserne Automaten in verschiedenen
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