Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
würden?«
»Ich denke, der größte Teil des Adels würde in diesen Dingen Lord Fieldhursts Meinung teilen.« Ashbourne ließ den Kopf sinken und stützte die Stirn auf die Fingerspitzen; auf einmal sah er sehr alt aus. »Ich hätte das wissen müssen. Mein Fehler war es, dass ich die Menschheit lediglich als eine einzelne Spezies betrachtet habe. Als ich sah, wie England und Frankreich gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiteten, habe ich vergessen, dass Nationen nicht die einzigen Gruppen sind, die miteinander im Konflikt stehen.«
»Wie wäre es, wenn wir den Namen heimlich unter den Arbeitern verteilen würden? Sie könnten ihre eigenen Nadeln aufziehen und den Namen selbst und im Verborgenen aufprägen.«
»Das schon, aber die Namensprägung ist ein heikler Vorgang und sollte in einem Labor durchgeführt werden. Ich bezweifle stark, dass man diese Operation in hinreichend großem Maßstab durchführen könnte, ohne dass die Regierung aufmerksam werden und sie anschließend unter ihre Aufsicht nehmen würde.«
»Gibt es eine andere Möglichkeit?«
Ein längeres Schweigen entstand, während sie nachdachten. Dann sagte Ashbourne: »Erinnern Sie sich noch an unsere Überlegungen zu einem Namen, der zwei Generationen Föten hervorbringt?«
»Gewiss.«
»Angenommen, wir würden einen solchen Namen entwickeln, diese Eigenschaft aber nicht preisgeben, wenn wir ihn Lord Fieldhurst präsentieren.«
»Äußerst gerissen«, sagte Stratton überrascht. »Alle Kinder, die durch einen solchen Namen geboren würden, wären fruchtbar und damit in der Lage, sich ohne die Restriktionen der Regierung fortzupflanzen.«
Ashbourne nickte. »Ehe die Bevölkerungskontrolle beginnt, könnte ein solcher Name sich weit verbreiten.«
»Aber was ist mit der folgenden Generation? Sie wäre wieder steril, und die Arbeiterklasse wäre hinsichtlich der Fortpflanzung erneut von der Regierung abhängig.«
»Richtig«, sagte Ashbourne, »der Sieg wäre nur von kurzer Dauer. Die einzig dauerhafte Lösung wäre wohl ein liberaleres Parlament, aber wie man das zuwege bringen könnte, übersteigt meine Kenntnisse.«
Wieder dachte Stratton über die Veränderungen nach, die billige Maschinen bewirken könnten; wenn die Lage der Arbeiterklasse sich in der Weise verbesserte, wie er es sich erhoffte, würde das dem Adel beweisen, dass Armut nicht angeboren war. Doch auch beim günstigsten Verlauf würde es Jahre dauern, das Parlament zu überzeugen. »Und wenn die erste Namensprägung mehrere Generationen hervorbringen könnte? Ein längerer Zeitabschnitt ohne erneute Sterilität würde die Chancen für die Etablierung liberaler Ansichten verbessern.«
»Das ist Phantasterei«, erwiderte Ashbourne. »Mehrere Generationen zu erzeugen, ist technisch überaus schwierig; eher wachsen uns Flügel und wir erheben uns in die Lüfte. Schon die Erzeugung von zwei Generationen wäre anspruchsvoll genug.«
Bis spät in die Nacht diskutierten die beiden, wie sie vorgehen wollten. Wenn sie bei jedem Namen, den sie Lord Fieldhurst präsentierten, dessen wahre Natur verbergen wollten, würden sie etliche Forschungsergebnisse fälschen müssen. Selbst ohne die zusätzliche Last der Geheimhaltung war es ein ungleiches Rennen, bei dem sie einem hoch entwickelten Namen nachjagten, während die anderen Nomenklatoren nach einem vergleichsweise einfachen Euonym forschten. Um ihre Chancen zu verbessern, würden Ashbourne und Stratton weitere Mitarbeiter einweihen müssen; mit deren Hilfe würden sie vielleicht die Forschung der anderen auf subtile Weise behindern können.
»Was glauben Sie – wer von den anderen stimmt mit uns politisch überein?«, fragte Ashbourne.
»Bei Milburn bin ich recht zuversichtlich. Bei den anderen dagegen weniger.«
»Gehen Sie keinerlei Risiko ein. Wenn wir an mögliche Mitwisser herantreten, müssen wir noch vorsichtiger vorgehen als Lord Fieldhurst, als er diese Gruppe ursprünglich ins Leben rief.«
»Einverstanden«, sagte Stratton. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. »Da sitzen wir nun und bilden eine geheime Organisation innerhalb einer geheimen Organisation. Wenn man Föten nur auch so leicht erzeugen könnte!«
Es war am Abend des darauffolgenden Tages, die Sonne ging gerade unter, und Stratton schlenderte über die Westminster Bridge, während die letzten Straßenhändler ihre Obstkarren wegrollten. Er hatte gerade in einem seiner Lieblingsklubs zu Abend gegessen und ging zur Coade-Manufaktur zurück. Der vergangene
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