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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Bewegungen: die Puppe seiner Kindheit, nur eben mannsgroß. Sofort prallte er gegen die Tür und versperrte sie, indem er unbeirrt immer weitermarschierte, wobei seine eisernen Hände jedes Mal, wenn er seine Arme nach vorne schwang und seine mit Gummi beschichteten Füße schwer über den Backsteinboden schlurften, Kerben in die Eichentür schlugen. Stratton wich in den hinteren Teil des Laderaums zurück.
    »Stehen bleiben«, befahl der Assassine. »Stehen bleiben, du! Bleib stehen!«
    Für alle Befehle taub, marschierte der Automat weiter. Der Mann drückte gegen die Tür, doch vergeblich. Dann begann er, sich mit der Schulter dagegenzuwerfen, wodurch der Automat jedes Mal ein kleines Stück zurückgeschoben wurde, aber seine schnellen Schritte trugen ihn wieder nach vorn, ehe der Mann sich in den Raum drängen konnte. Es folgte eine kurze Pause, dann wurde mit etwas im Türgitter gestochert; der Mann versuchte, den Rost mit einem Brecheisen aufzuhebeln. Mit einem Mal löste sich das Gitter, und das Fenster stand offen. Der Mann steckte den Arm hindurch und fasste um den Automaten herum zu dessen Hinterkopf, wobei er jedes Mal, wenn dieser sich vorwärts bewegte, nach dessen Namen tastete, doch er bekam nichts zu fassen; das Papier steckte zu tief im Schlitz.
    Der Arm wurde zurückgezogen. In dem Fenster erschien das Gesicht des Assassinen. »Sie halten sich wohl für sehr schlau, was?«, rief er. Dann verschwand er.
    Stratton entspannte sich ein wenig. Hatte der Mann aufgegeben? Eine Minute verstrich, und Stratton überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Er konnte hier warten, bis die Fabrik ihre Tore öffnete; dann würden zu viele Leute hier sein, als dass der Mörder noch bleiben konnte.
    Plötzlich schob sich der Arm des Mannes wieder durch das Fenster, und diesmal hielt er ein Gefäß mit einer Flüssigkeit in der Hand. Er schüttete sie dem Automaten über den Kopf; es spritzte, und die Flüssigkeit tropfte dem Automaten über den Rücken. Der Arm wurde zurückgezogen, und dann hörte Stratton, wie ein Streichholz angerissen wurde und aufflammte. Wieder langte der Mann durch das Fenster und hielt das Streichholz an den Automaten.
    Licht durchflutete den Raum, als der Kopf des Automaten und der obere Teil seines Rückens in Flammen aufgingen. Der Mann hatte ihn mit Lampenöl übergossen. Stratton blinzelte angesichts des Schauspiels: Licht und Schatten tanzten über Wände und Boden und schienen den Lagerraum in eine kultische Stätte zu verwandeln. Aufgrund der Hitze verstärkte der Automat seinen ziellosen Ansturm auf die Tür, wie ein in Flammen stehender Priester, der in immer größerer Ekstase tanzte, bis er ganz plötzlich stehen blieb: Sein Name hatte Feuer gefangen, und die Flammen verschlangen die Buchstaben.
    Langsam erlosch das Feuer, und auf Stratton, dessen Augen sich gerade erst an das Licht gewöhnt hatten, wirkte der Raum fast vollkommen finster. Er hörte mehr, als er sah, dass der Mann wieder gegen die Tür drückte und diesmal den Automaten so weit zurückschob, dass er hineingelangte.
    »Genug jetzt.«
    Stratton versuchte, an ihm vorbeizukommen, doch der Assassine bekam ihn mühelos zu fassen und schlug ihn mit einem Fausthieb zu Boden.
    Fast sofort kam er wieder zu sich, doch da lag er schon mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden unter dem Angreifer, der ihm ein Knie in den Rücken drückte. Der Mann riss das Gesundheitsamulett von Strattons Handgelenk herunter und fesselte ihm die Hände hinter dem Rücken, wobei er das Seil so festzog, dass die Hanffasern ihm in die Handgelenke schnitten.
    »Was sind Sie nur für ein Mensch, dass Sie so etwas tun?«, keuchte Stratton, während seine Wange gegen den Steinboden gepresst wurde.
    Der Mörder lachte. »Menschen sind auch nicht anders als Ihre Automaten; wenn Sie einem Kerl ein Stück Papier hinhalten, auf dem die richtigen Zahlen stehen, tut er alles, was Sie wollen.« Der Mann entzündete eine Öllampe, und im Raum wurde es hell.
    »Und wenn ich Ihnen mehr zahle, damit Sie mich laufen lassen?«
    »Das geht nicht. Ich muss schließlich an meinen Ruf denken, nicht wahr? Kommen wir nun zur Sache.« Er packte den kleinen Finger von Strattons linker Hand und brach ihn mit einem Ruck.
    Der Schmerz war entsetzlich und einen Augenblick lang so heftig, dass Stratton nichts anderes mehr wahrnahm. Wie aus weiter Ferne war ihm bewusst, dass er laut aufgeschrien hatte. Dann hörte er wieder den Mann. »Antworten Sie jetzt auf meine Fragen. Haben

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